Die Insel und ich
Kopf?»
«Aber wir kämmen doch unser Haar aus, solange wir anstehen müssen.»
Ich fragte: «Wie wird es denn nachher wieder lockig? Die Fähre braucht ja nur 12 Minuten!»
«Wir drehen es ein, während die Fähre anlegt.»
«Und wenn ihr auf der Fähre heimfahrt – macht ihr’s da wieder auf?»
Allgemeines verächtliches Gelächter: «Natürlich! Denkst du, wir fahren mit einem Kopf voll Lockenwickel auf der Fähre?»
Heutzutage weiß jeder, daß junge Burschen und Mädchen im Grunde ihres Wesens sehr unsicher sind, so widerlich selbstbewußt sie auch tun. Es steht in Büchern. Wir hören es in Vorlesungen. Sogar in den Zeitungen kann man’s lesen. Doch muß man mit Halbwüchsigen zusammenleben, um zu verstehen, daß sie in diesem halbflüggen, frisch aus dem Ei gekrochenen, naßfiedrigen Zustand durchaus nicht wissen, daß sie unsicher sind. Sie halten sich für weise, duldsame und verantwortungsbewußte Erwachsene. So erwachsen sind sie, daß sie einen Widerwillen gegen alles Kindische haben. Daher kamen denn auch die lustigen Sonntagvormittage in den elterlichen Betten zu einem jähen Ende. Statt dessen stürzten Anne und Joan nach unten, holten sich die Zeitungen, zankten sich laut darum, kamen zu uns, setzten sich auf den Bettrand, tranken den Kaffee, den wir uns selber geholt hatten, und klagten. «Huh, wie häßlich du in dem Nachthemd aussiehst, Betty», war eine Form der Morgenbegrüßung. Dann schnell ein Seufzer: «Ach, es regnet schon wieder!» – «Es regnet schon jahrelang, scheint mir!» Noch ein tiefer Seufzer. «Mommy, glaubst du, Tyrone Power wird Lana Turner heiraten?»
Beide steckten in Dons Schlafanzügen, das Haar war natürlich aufgedreht, das Gesicht mit Zinksalbe bestrichen, die Fingernägel lang, rubinrot und abgesplittert, die Augen melancholisch.
Ich schlug vor: «Wollen uns schnell anziehen, frühstücken, ein schönes Feuerchen anzünden und Scharaden spielen.»
«Scharaden?» fragte Anne gedehnt. «Meinst du das Babyspiel, wo man ein Wort darstellt?»
«Es ist kein Babyspiel. Wir haben es ja letzten Sommer immer gespielt.»
«Ich möchte nicht spielen», sagte Joan. «Das erinnert mich so an die Schule.»
«Ich wünschte, ich hatte einen rosa Angorapullover», seufzte Anne. «Marilyn hat zwei, einen hellblauen und einen rosa.»
«Zwei?» fragte Joan. «Bestimmt? Die kosten doch 25 Dollar das Stück.»
«Marilyn ist eben reich», seufzte Anne. «Sie hat monatlich 35 Dollar bloß für Sachen.»
Don sagte: «Ich versteh nicht, weshalb wir die Russen nach Berlin lassen!»
Anne sagte: «Marilyn verlebt die nächsten Weihnachten in Florida.»
Ich sagte: «Das möchte ich euch aber nicht wünschen. Wer ist so verrückt und verlebt Weihnachten in heißem Klima und unter Palmen!»
«Ich», sagte Anne sehnsüchtig. «Ich habe den ewigen Regen und die Kälte satt.»
«Ich auch», sagte Joan. «Marilyn bekommt einen eigenen Wagen, wenn sie sechzehn wird.»
Don sagte: «Unsere Politik kann natürlich keinen Menschen außer uns selber hinters Licht führen.»
Ich sagte: «Besitz macht nicht glücklich. Glück kann man nur in sich selber finden.»
«Oh, ich könnte es aber viel leichter finden, wenn ich einen eigenen Wagen hätte!» seufzte Anne.
Joan sagte: «Wenn wir einen Wagen ganz für uns allein hätten, könnten wir nächstes Jahr nach Kalifornien fahren.»
«Das könntet ihr nicht», sagte ich.
«Weshalb denn nicht?» Einstimmig.
«Weil ich dagegen bin, daß junge Mädchen allein im Lande herumkutschieren. Es ist nicht sicher.»
«Aber im nächsten Jahr sind wir schon fünfzehn und sechzehn.»
«Das ist nicht alt genug.»
«Komisch, daß wir immer alt genug sind, wenn wir was tun sollen, was du möchtest, und nie alt genug, wenn wir was tun wollen, was wir möchten.»
Don sagte: «Nun hört euch das an: ‹Der Frieden liegt außerhalb jeder Kontrolle. Er muß als Geschenk kommen. Vorsätzliche Friedensbestrebungen münden nur in einem illegitimen Ersatz, der Tatenlosigkeit›.»
Ich sagte: «Wollt ihr euch nicht anziehen, Kinder?»
Don sagte: «Nie hört ihr hin, was ich sage!»
Ich sagte: «Doch, ich tue es. Aber es ist schwierig, sich auf Politik zu konzentrieren, wenn die Mädchen im eigenen Wagen nach Kalifornien fahren.»
Anne fragte Don: «Findest du nicht, daß wir alt genug sind, nach Kalifornien zu fahren?»
«Weshalb nicht lieber nach Südamerika?» fragte Don. «Das ist noch weiter weg.»
«Wer holt mir eine Zigarette von unten?» fragte
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