Die Inseln des Ruhms 02 - Der Heiler
» Meine Zellenkameradin wird bei Sonnenuntergang auf dem Marktplatz öffentlich hingerichtet werden. Ich denke, das wird die Leute ablenken, glaubst du nicht?«
Ich fühlte mich elend, wandte das Gesicht ab und hörte nicht mehr weiter zu.
In Mekatéhaven stank es immer nach irgendetwas, nach verbrannter Kohle, nach Schmelzhütten und Schmiedearbeiten; nach Rauch und Ruß, nach Fischdünger in Säcken, die auf die Verschiffung warteten. Das Watt entlang des sich lässig durch die Bezirke schlängelnden Flusses, der von den Abwässern stark verunreinigt war, stank nach Abfall. Die Stadt hockte auf dem Land, als wäre sie dorthin gekommen, um sich zu nähren: hässlich, krebsartig und obszön. Jedes Jahr breitete sie sich weiter aus, sickerte sie in den Wald und vernichtete alles, was auf ihrem Weg lag. Sie saugte die Schönheit des Landes ein und spuckte den Eiter der Müllgruben und Kloaken und Abraumhalden aus.
Ich habe mich oft darüber gewundert, wie irgendein Mensch die Errichtung einer solchen Abscheulichkeit gutheißen konnte, und wie jemand, wenn so etwas erst gebaut worden war, in einer derartigen Schmutzkloake würde wohnen wollen.
Es hatte auch eine Zeitlang sehr viele Verbrechen dort gegeben; dies hatte sich jedoch – um den Fellih-Gläubigen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – geändert, als diese einen Bezirk nach dem anderen für sich eingenommen hatten. Ihre wohltätigen Bemühungen hatten einen großen Teil des Mangels und der Not gelindert, die die Verbrechen genährt hatten; ihre knüppelschwingenden Wachen hatten schon bald jede Ausschweifung zu einem riskanten Unterfangen gemacht.
Bei meinen früheren Besuchen an der Küste hatte ich die Stadt so gut wie möglich gemieden. Während Jastriás Verbannung hatte ich drei Monate dort gelebt, bis sie schließlich verschwunden war. Es war keine schöne Erfahrung gewesen, und es war mir schwergefallen, mir vorzustellen, wie sie es in der Tat genießen und glauben konnte, in einem Teil der Welt, der so viel Dreck und Hässlichkeit beherbergte, eine Nische für sich zu finden. Ganz zu schweigen von den Fellih-Gläubigen mit ihrem schroffen, unnachgiebigen Glauben. Ich hatte damals nicht erkannt, dass nicht Mekatéhaven sie anzog, sondern die Himmelsebene sie abstieß, und dass das Abenteuer sie gerufen hatte.
Natürlich gab es in der Stadt noch andere Religionen neben der der Fellih, und auch andere Leute. Den Havenherrn zum Beispiel, der über die Insel und die Inselbewohner herrschte, sowohl über die Fellih-Gläubigen als auch über die Hochländer. Unglücklicherweise hatte ich keine Ahnung, wie ein bescheidener Selberhirte und Arzt es schaffen sollte, in weniger als sieben Stunden mit dem Herrscher dieses Volkes oder seinem Kanzler zu reden.
Ich versuchte es, bei der Schöpfung, wie sehr habe ich es versucht, mit jeder Waffe, die mir einfiel: Bestechung, Beschwatzen, Lügen, der Wahrheit. Es überraschte mich nicht, dass ich erfolglos war.
Eine öffentliche Hinrichtung, so schien es, besaß ihre eigene abartige Anziehungskraft. Als ich am Abend zum großen Marktplatz der Stadt kam, wimmelte es dort nur so von Menschen, und nicht alle waren Fellih-Gläubige. Sie wogten und wirbelten herum, bildeten Strudel aus Erregung und obszöner Erwartung. Ich war so einfältig gewesen, dass ich gedacht hatte, es würde sich um eine nüchterne Angelegenheit handeln, und angesichts der Tragödie würde eine Atmosphäre der Trauer herrschen. Stattdessen kam ich mir vor wie auf einem Jahrmarkt: Die Menge roch nach Begierde und Leidenschaft, nach Schweiß und pulsierender Lebhaftigkeit, nach einer animalischen Gier nach Blut.
Ein Pfosten war an dem einem Ende des Platzes in die Erde getrieben worden. Daneben befand sich ein Eimer mit Sand, der nachher auf dem Blut verteilt werden würde. Überall befanden sich Steinhaufen, und von den Jungen, die sie zusammengetragen hatten, war Gelächter zu hören. Auf dem ganzen Platz waren keine weiblichen Fellih-Gläubigen zu sehen; dies war das Werk eines Mannes, die Religion eines Mannes. Kleine Gruppen von Leuten anderer Glaubensrichtungen hielten sich zurück, verteilten sich entlang dem hinteren Teil der Menge. Zumindest sie wirkten bedrückt.
Eine Glocke bimmelte und kündigte den Sonnenuntergang an. Als Jastriá zum Pfosten gebracht wurde, herrschte jedoch noch reichlich Zwielicht. Sie wirkte richtig königlich, meine Jastriá. Königlich und stolz. Ich war ganz sicher stolz auf sie. Sie trug ein langes
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