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Die irische Meerjungfrau

Die irische Meerjungfrau

Titel: Die irische Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Roemer
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bis er das virtuose Tastenspiel von Ray Manzarek erkannte, der in den Sechziger- und Siebzigerjahren die Auftritte der   Doors   mit seinen Soli auf geradezu exzessive Weise in die Länge ziehen konnte. Er hatte das Stück schon mal gehört, wusste es aber nicht einzuordnen. Die Musik kam aus einem Kassettenrecorder, der zwischen Eimern und Werkzeug auf einem Gerüst im Altarraum stand. Ein Scheinwerfer beleuchtete die Wand der Apsis, in seinem Licht die sparsamen Bewegungen eines Schattens. Ein Mensch, der auf dem Gerüst hockte und mit feinem Werkzeug an einem Bild unterhalb der Decke arbeitete, ein Gemälde, das direkt auf den Putz der Wand aufgetragen war. Er war ganz in Arbeit und Musik vertieft und bemerkte seinen Besucher nicht.
    Fin betrachtete das Fresko. Irgendwie erschien es ihm vertraut. Die Darstellung erinnerte ihn an die Mönche am Strand, eine Reihe von Figuren, die in einer langen Prozession über die Wand zogen. Alles in gedeckten Erdfarben, nur der Himmel erstrahlte in nahezu göttlichem Blau. Wahrscheinlich durch die Hand des Restaurators.
    »Moses teilt das Rote Meer«, flüsterte es hinter ihm. Er hatte Vater Keelan gar nicht kommen gehört. »Die salzige Seeluft hat ihm arg zugesetzt.«
    »Na, da kann er aber froh sein, dass es nicht das Tote Meer war«, entgegnete Fin trocken.
    »Wie?«
    »Sollte ’n Scherz sein. Vergessen Sies.«
    Der Schatten hatte innegehalten, als er die Stimmen gehört hatte. »Lass dich nicht stören, Charlie, wir sind gleich wieder weg«, beschwichtigte der Pfarrer und schob Fin vor sich her Richtung Ausgang. Er hatte es verdächtig eilig.
    »Und das da?« Fin deutete auf ein paar Holztafeln, die gegen den Altarstein lehnten, nachlässig mit Decken gegen den Staub geschützt. Ein Stück Stoff war heruntergerutscht und gab die Ecke eines überraschend farbenfrohen Bildes frei. Fin schob den Rest der Decke zur Seite und erblickte die typischen biblischen Motive. Kreuzigung, Paradies und Hölle, das letzte Abendmahl, alles in einem expressiven Stil mit großzügigem Pinselstrich und Sinn für Lokalkolorit gemalt. Unterm Kreuz lungerten ein paar Schafe, die Jünger sahen aus wie Bauern oder Torfstecher und Maria glich eher einem irischen Fischweib als einer Gottesmutter.
    »Das berühmte Yeats-Triptychon.«
    »William Butler Yeats? Wusste gar nicht, dass der Knabe auch gemalt hat.«
    »Sein Bruder. Jack.« Vater Keelan zauberte von irgendwoher ein Faltblatt und drückte es ihm in die Hand. »Hier. Hat uns die Yeats-Stiftung zu Verfügung gestellt. Steht alles drin.«
    Irgendwie wurde Fin das Gefühl nicht los, die Geduld des Pfarrers schon arg überstrapaziert zu haben. Die Kostbarkeit verschwand wieder unter der Decke, und Vater Keelan komplimentierte ihn endgültig hinaus. »Ich würde mich gerne länger mit Ihnen unterhalten, Mr. O’Malley, aber der Kommunionsunterricht wartet. Wenn es Ihnen recht ist, schlage ich mal in den Kirchenbüchern nach, ob ich irgendwo einen O’Malley finde.«
    »Das wäre ausgesprochen freundlich, Herr Pfarrer.«
    Sie verabschiedeten sich, und der Gottesmann strebte mit wehendem Rock Richtung Dorf. Ein lauter Flügelschlag und die Krähe flog mit heiserem Krächzen hinterher.
    Fin sah den beiden nach. Gut möglich, dass er schlafende Hunde geweckt hatte, aber er war nicht so blöd, jetzt auch noch mit dem Knochen abzuhauen.

4. Maighdean mhara 
    Es war keine schlechte Idee, Shergar ins Spiel zu bringen. Sollten die Leute in Foley doch glauben, er sei hinter einer Story her. Es war die perfekte Tarnung.
    »Na, haben Sie sich die Gegend ein bisschen angeschaut?« Ronans Frage klang unverfänglich, aber Fin ließ sich nicht täuschen. Ihm war klar, dass der Wirt wie alle anderen längst wusste, dass er auf dem Friedhof gewesen war. Wahrscheinlich wurde der Kommunionsunterricht genau wie die Beichtstunde im Pub abgehalten.
    Er saß an der Theke des Fisherman und nippte an seinem Pint Smithwick’s. Er hatte wohlweislich auf einen Whisky oder die Spezialität des Hauses verzichtet, noch einen Totalausfall wollte er nicht riskieren. Heute war er zeitiger dran als gestern, und in weiser Voraussicht hatte er sein Abendessen in Auftrag gegeben in dem Augenblick als Isobel den Herd anwarf.
    »Es ist sehr schön hier. Nur schade, dass das Wetter nicht mitspielt.« Das Wetter war immer eine gute Basis für Smalltalk. »Aber zu dieser Jahreszeit sollte man wohl nicht zu viel erwarten.«
    »Ich fürchte, für heute Nacht ist sogar Sturm angesagt«,

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