Die irische Meerjungfrau
allen Seiten brandete das Meer, donnerte und gurgelte die Flut. Er hatte völlig die Orientierung verloren.
Resigniert stellte er seinen Rucksack ab und hockte sich ins Gras. Dann blieb er eben hier. Er zog die Whiskyflasche hervor und gönnte sich einen großen Schluck. Fin wusste, dass Alkohol auf nüchternen Magen keine so gute Idee war, aber das war ihm jetzt egal. Er wusste auch, dass Alkohol auf Dauer nicht wärmte, aber die Illusion war einfach zu schön. Er trank noch einen Schluck.
Der Wind fegte über die Inselkuppe, raschelte im trockenen Herbstgras und fing sich in den schroffen Felsen. Sein langgezogenes Heulen tönte wie Sirenengesang.
Meerjungfrauen.
Pah!
Fin nahm noch einen tiefen Zug aus der Flasche und wartete, dass die Wirkung endlich einsetzte. Ja, er wollte sich besaufen. Anders würde er diese bescheuerte Situation nicht ertragen können. Diesen ganzen bescheuerten Auftrag.
Er würde eh nichts rausfinden. Thomas Keane war tot, basta. Und Jack Keane lebte wahrscheinlich seit zehn Jahren auf irgendeiner Karibikinsel mit einer kaffeebraunen Schönheit an seiner Seite und verjubelte die Beute. Er, Fin, würde mit leeren Händen zurückkommen und dieses Arschloch Ramsay konnte triumphieren, hatte er doch immer schon gewusst, dass dieser O’Malley unfähig war. Zu nix zu gebrauchen.
Andererseits, hatte Ramsay nicht selbst gesagt, er schließe die Keanes als Täter aus? Eigentlich erwartete er gar kein Ergebnis.
Also war eigentlich alles egal.
Fin hatte bereits die halbe Flasche geleert. Er spürte seine nassen Füße kaum noch.
Keiner hatte zu ihm gesagt, »Das ist deine letzte Chance, O’Malley, nutze sie.« Auch wenn es vielleicht so war. Er musste diesen Fall nicht lösen, das konnten andere ebenso gut tun. Er war keiner dieser Bluthunde, die sich an einem Fall festbissen und nicht eher ruhten, bis der Schuldige geschnappt und verurteilt war. Solche Helden gab es eh nur in Büchern oder Filmen.
Eigentlich schade, sich diesen guten Stoff so verschwenderisch durch die Kehle zu jagen. Er versuchte, im Dunklen abzuschätzen, wie viel noch in der Flasche drin war. Egal. Er lehnte sich zurück und betrachtete den Nachthimmel. Waren dort oben Sterne oder bildete er sich die nur ein?
Richtige Helden nutzten eine solche Situation immer für eine innere Läuterung. Sie suchten nach Auswegen aus Lebenskrisen oder waren auf den Spuren ihrer Vergangenheit, meistens der Kindheit. Fin suchte nur nach gewöhnlichen Verbrechern oder nach der richtigen Abzweigung. Falsch abbiegen würde diesen Menschen nie passieren. Die brauchten auch keine Straßenkarte. Die kamen an eine Kreuzung und wussten stets intuitiv, wo es langging. Und sie kamen auch immer an, wo sie hinwollten. Wenn er seiner Intuition folgte, landete er in einer Sackgasse. Nein, er hatte sich noch nie auf sein Gefühl verlassen können, in der Vergangenheit nicht und in Zukunft sollte er erst gar nicht damit anfangen …
Es war gar nicht so einfach, im Liegen zu trinken. Der erste Schluck ging daneben. Er musste besser zielen. Vielleicht sollte er auch einen Augenblick warten, bis dieses Wackeln aufhörte.
»Starrst du Löcher in den Himmel?«
Fin blinzelte und entdeckte etwas Helles über sich. Ein langgezogenes Gesicht. Weiße verfilzte Haare. Dunkle Knopfaugen. Eine gewaltige Nase.
Meine Fresse, wenn ich so hässlich wäre, würde ich nicht unter Menschen gehen …
Das Gesicht kam näher. »Schätze, du hast ein Problem.«
Einer von Nora Nichols’ Kobolden.
Mad Dog MacGuire.
Halt, das war gar kein Gesicht. Das war nicht mal ein Mensch. Das war ein Schaf. Nee, ein Gaul …
»Hörma, du …« Entweder war seine Zunge zu groß für seinen Mund oder sein Mund zu klein für seine Zunge. »Eins weissich genau … Ferde könnich sprechen …«
Der Kopf verschwand. Wie alles andere um ihn herum.
8. Charlie
Ein Knurren weckte ihn.
Vielleicht war es auch ein Summen. Oder ein Surren.
Nein, es war doch eher ein Brummen. Ein Dieselmotor, der in monotonem Leerlauf vor sich hin nagelte. Ein Auto, das direkt über ihm parkte. Das genau genommen auf ihm drauf parkte. Mit jedem Heben und Senken seines Brustkorbs spürte er das Gewicht, spürte er die Wärme der tuckernden Maschine. Sein ganzer Körper vibrierte. Das Atmen fiel ihm schwer.
Vorsichtig öffnete er ein Auge. Ein verschwommenes Bild tauchte auf. Ein orangefarbenes Auto. Mit grünen Scheinwerfern.
Er öffnete beide Augen.
Sofort hörte das Brummen auf.
Es war kein
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