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Die irische Meerjungfrau

Die irische Meerjungfrau

Titel: Die irische Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Roemer
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Auto. Es war eine Katze.
    Eigentlich sollte ihn das beruhigen.
    Tat es aber nicht.
    Er zuckte zusammen.
    Für den Bruchteil einer Sekunde spürte er spitze Krallen auf seiner Brust, als die Katze mit allen Vieren zugleich hochfuhr und mit einem Satz davonschoss. Eine Wolke roter Haare rieselte auf ihn nieder.
    Er nieste.
    »Normalerweise schläft sie auf dem Sofa.«
    Die Stimme kam ihm bekannt vor. Ein neues Geräusch drängelte sich in sein Bewusstsein. Etwas zischte direkt über seinem Kopf.
    Er schaute auf. Eine Hand war aus dem Nichts aufgetaucht und hielt ihm ein großes Glas hin, dessen Inhalt munter vor sich hin sprudelte. Darüber feuerrote Haare und ein Blick aus sagenhaft grünen Augen.
    Die Meerjungfrau.
    Fin schloss die Augen. Er musste das jetzt nicht verstehen. Nicht so früh am Morgen. Wenn es überhaupt Morgen war. Vorsichtig hob er den Kopf und schaute sich um. Er lag eingepackt in eine Wolldecke auf einem Sofa, das normalerweise von einer Katze beansprucht wurde, in einem Haus, das von dieser merkwürdigen Frau bewohnt wurde.
    Egal.
    Er griff nach dem Glas. Was auch immer sie ihm zu trinken gab, es konnte nur helfen, diese Situation zu klären. Er merkte, wie trocken seine Kehle war. Gierig schluckte er das Zeug hinunter. Noch nie hatte Alka-Seltzer so gut geschmeckt.
    Die Meerjungfrau beobachtete ihn, auf die Rückenlehne des Sofas gestützt. Die langen, roten Haare umrahmten ihr Gesicht wie der Vorhang eine Theaterbühne.
    Allmählich kehrte seine Fähigkeit zurück, einfache Gedanken zu formulieren.
    »Wo bin ich?«
    »Im Leuchtturm.«
    Aha. »Und wie bin ich hierhergekommen?«
    »Auf einem Pferd.«
    »Auf einem Pferd?«
    »Quer überm Sattel, wenn du’s genau wissen willst.«
    Fin verschluckte sich. Nein, so genau hatte er es nun doch nicht wissen wollen, aber er versuchte tapfer, es sich vorzustellen, ohne dass ihm dabei schlecht wurde.
    Sie schien seine Gedanken zu ahnen. »Keine Sorge, du hattest schon vorher alles rausgekotzt.«
    Daher der schale Geschmack in seinem Mund. Er leerte das Glas.
    Sie nahm es ihm aus der Hand und wandte sich ab. »Falls du aufnahmefähig bist für Kaffee oder feste Nahrung …« Der Rest des Satzes blieb in der Luft hängen, während ihre Schritte auf dem knarrenden Holzboden das Zimmer verließen.
    Fin schob die dicke Wolldecke von sich und setzte sich zögernd auf, bereit, es mit dem Gewitter in seinem Kopf mit all seinem Blitz und Donner aufzunehmen.
    Das Sofa stand mitten im Zimmer. Es war alt und ausgeleiert, aber gemütlich. So wie der Rest der Einrichtung. Zwei gewaltige Sessel, ein niedriger Tisch der Marke Eigenbau. Für Bücher ein paar Bretter an der Wand. Auf dem blankgescheuerten Dielenboden ein fadenscheiniger Teppich, der in seinen besten Jahren als teurer Orientale Bewunderer gefunden hatte. Die paar Bilder an der Wand schienen wahllos zusammengewürfelt, naturalistische Landschaften mit typisch irischen Motiven, ein alter Segler an der Küste, ein Cottage im Moor, überzogen von vergilbtem Firnis. Dazwischen ein abstraktes Gemälde, die verschmierten Farbflächen in Grün und Gelb erinnerten an Kermit im Mixer. Über allem lag ein Hauch von Flohmarkt. Nichts gehörte zusammen, aber alles passte irgendwie zueinander.
    Ein antik anmutender Kohleofen wummerte in einer Ecke leise vor sich hin. Daneben hockte die rote Katze und warf ihm aus grünen Augen jenen herablassenden Blick zu, den eben nur Katzen drauf hatten.
    Fin fuhr sich mit der Hand über die Stelle, die ihre Krallen markiert hatten. Durch die Decke und den dicken Pullover war er glimpflich davongekommen. Seine Jeans starrten vor Dreck, aber wenigstens hatte er sie noch an. Ein rascher Griff in seine Gesäßtasche – sein Dienstausweis war noch da. Er wusste schon, weshalb er das Ding lieber in der Hose stecken hatte. Eine Jacke hängte man schon mal achtlos irgendwohin, seine Hose behielt er normalerweise an. Aber das wollte nichts heißen, sie konnte den Ausweis gefunden und wieder zurückgesteckt haben, ohne dass er es gemerkt hatte. Er musste vorsichtig sein.
    Wie in Zeitlupe stand er auf. Er schwankte. Jemand hämmerte in seinem Kopf, modellierte eine Skulptur aus seiner Gehirnmasse und schlug alle überflüssigen Teile weg, bis nur noch das Wesentliche übrig blieb. Ein Idiot.
    Auf Socken wagte er ein paar Schritte und gelangte ans Fenster, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Es war heller Tag. Der Himmel war nicht mehr ganz so blau wie gestern, ein kräftiger Westwind wehte

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