Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die irische Meerjungfrau

Die irische Meerjungfrau

Titel: Die irische Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Roemer
Vom Netzwerk:
leichtfüßigen Sprüngen flog er über den Sand, während sich der kleine Braune schnaufend die Seele aus dem Leib rannte. Kurz vor dem Ziel erhob sich ein Fels von einem Kerl aus der Brandung, bärtig, mit Tang und Muscheln behangen, und fuchtelte wild mit einem Dreizack in der Luft herum. Neptun selbst stieß in sein Tritonshorn wie ein erfahrener Schlachtenbummler.
    Aber es war kein Wettrennen im eigentlichen Sinne. Die Reiter jagten nicht nebeneinander her, sondern aufeinander zu. Und keiner von beiden machte Anstalten, auch nur eine Handbreit vom Weg abzuweichen. Sie würden unweigerlich zusammenstoßen und zwar ziemlich genau an der Stelle, wo er, Fin, gerade stand …
    Er fuhr keuchend hoch und stieß in Panik die Bettdecke von sich. Im ersten Augenblick wusste er nicht, wo er war. Er phantasierte. Das musste Fieber sein. Was zu befürchten gewesen war nach dem Ausflug vergangene Nacht. Es konnte gar nicht anders sein, schließlich hatte er am Vortag keinen einzigen Tropfen Alkohol angerührt.
    Das Zimmer war stockfinster. Draußen prasselte ohne Unterlass der Regen gegen die Scheibe. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr auf dem Nachttisch. Gerade zwei Uhr vorbei. Er seufzte ergeben und versuchte, noch eine Runde zu schlafen.
    Den Rest der Nacht verbrachte er in einem unruhigen Dämmerzustand, immer darauf gefasst, von unbekannten Kräften niedergewalzt zu werden.
    Nicht mal das Frühstück schmeckte ihm. Unter dem besorgten Blick von Mrs. MacCormack ließ Fin die Hälfte seiner Eier mit Speck auf dem Teller liegen. Selbst der ausgezeichnete Kaffee wollte ihn nicht so recht munter machen.
    Lediglich die Sonne versöhnte ihn ein klein wenig mit dem Morgen. Ein Schleier von Raureif lag über der feuchten Landschaft und ließ die kahlen Sträucher glitzern. Der Himmel war blank und blau, die Luft klirrend kalt. Eigentlich das ideale Wetter für eine Exkursion mit Nora Nichols.
    Im Pub hatte er in Erfahrung gebracht, dass die Alte einen ziemlich geregelten Tagesablauf hatte. Von Sonnenaufgang bis etwa zehn Uhr traf sie sich in ihrem Garten mit ihren Ahnen zur Morgentaumeditation. Anschließend fütterte sie für eine halbe Stunde die Möwen am Hafen, danach war sie mit ihrem Fotoapparat unterwegs, um ihre Abhandlung über das Feenreich   Tirfotoin   zu vervollständigen, bevor sie Punkt zwölf bei Ronan im Pub auftauchte, um ein spirituelles Mahl einzunehmen, den ersten Fisherman’s Fellow des Tages.
    Genau hier, vor der blutrot getünchten Fassade des Fisherman hockte Fin in seinem Wagen, ausgestattet mit neuen Schuhen, sauberen Jeans und sauberer Jacke, eingemummelt in seinen dicken Schal, und wartete geduldig auf das Auftauchen der weißhaarigen Feenfreundin und selbsternannten Shergar-Expertin. Und tatsächlich, eine Minute vor zwölf kam sie die Straße heraufmarschiert und steuerte Ronans Pub an. Eingepackt in eine sackartige graue Tweedjacke, die ihr bis zu den Knien reichte, während die Hände in den zu langen Ärmeln verschwanden, darunter ein paar ausgebeulte Blue Jeans, die Hosenbeine über dem derben Schuhwerk umgekrempelt. Ihre fisselige Lockenmähne umschwebte sie wie ein Heiligenschein, während die langen, fransigen Enden eines rotweißgestreiften Schals in ihrem Kielwasser wehten.
    »Hallo, Nora, hätten Sie Lust auf einen Ausflug?«
    »Ausflug?«
    »Sie wollten mir doch ein Grab zeigen.«
    »Grab?«
    »Das Grab von Shergar.«
    »Shergar?«
    Fin hatte sich noch nie im Leben mit einem Echo unterhalten. »Shergar. Das Pferd, das die … die Gomballs gestohlen haben.«
    Die Erwähnung ihrer Freunde schien Nora aufzuwecken. »Es ist aber weit bis zu den Gomballs.«
    »Ich will ja auch nicht zu den Gomballs, sondern zu Shergar.«
    »Shergar ist tot.«
    »Genau. Und um mich persönlich davon zu überzeugen, würde ich gerne sein Grab sehen.« Er hatte geahnt, dass es nicht leicht werden würde.
    »Also schön«, willigte Nora überraschend schnell ein, »aber um drei Uhr bin ich mit Lorna von den O’Learys zum Tee verabredet.«
    Wer auch immer Lorna war, sie konnte warten. »Bis dahin sind wir bestimmt wieder zurück.«
    »Gut. Gehen wir.«
    »Ich dachte, wir nehmen meinen Wagen.« Fin hielt ihr einladend die Beifahrertür auf. Die Glassplitter hatte er zuvor sorgfältig ausgefegt.
    »Meinetwegen.«
    Sie kletterte hinein, und er warf die Tür hinter ihr zu. Als er einstieg, war sie gerade dabei, sich eine Selbstgedrehte anzuzünden. Fin schnüffelte argwöhnisch. Das Kraut stammte

Weitere Kostenlose Bücher