Die irische Meerjungfrau
ausgerechnet ihm trauen und ihre Tarnung riskieren?
Er hatte das Handy noch im Schoß und drückte kurzerhand auf Wahlwiederholung. Aber die Leitung blieb stumm. Er hatte den Empfangsbereich verlassen.
Er wusste, es war kein Problem für Diane herauszufinden, in welche Geschichte Charlotte, oder wie immer sie auch hieß, verstrickt war, aber er bezweifelte, dass sie autorisiert war, es ihm zu verraten. Und es musste eine üble Geschichte sein, die eine solche Maßnahme rechtfertigte. Schlimmer als bloß ein prügelnder Ehemann.
Er musste es selber herausfinden.
Er hatte sich nach einem späten Frühstück verabschiedet. Sie hatte nicht gesagt, er könne mal wieder vorbeischauen. Sie hatte es aber auch nicht ausdrücklich verboten.
Entschlossen gab er Gas. Fegte um die Kurven, dass Grasbrocken und Steinchen über die Straße spritzten.
Vielleicht würde sie ihm die Wahrheit sagen, wenn er sich als Polizist zu erkennen gab. Nein, keine gute Idee. Nicht solange er nicht wusste, welche Rolle die Keanes in diesem Stück spielten. Oder Billy »Blue Boy« MacGann.
Oder die IRA.
Fins Fuß löste sich kaum merklich vom Gaspedal.
Nichts überstürzen.
Wieder ein Blick in den Rückspiegel. War das schon Verfolgungswahn?
Nein, er war allein auf der Landstraße.
Ganz allein. Auf sich gestellt.
15. Tirfotoin
Er würde es ihr auf den Kopf zusagen. Ihr ins Gesicht sagen, dass sie log.
Er schaffte es, die Nordspitze der Halbinsel zu erreichen, ohne ein einziges Mal falsch abzubiegen.
Keine Ausflüchte gelten lassen.
Er fuhr an den steinernen Mönchen vorbei, würdigte sie keines Blickes.
Er würde sich nicht eher zufrieden geben, bis er wusste, was Charlotte mit den Keanes zu schaffen hatte. Oder mit Billy MacGann.
Der Leuchtturm kam in Sicht. Auf der Zufahrt zum Damm war ein Wagen abgestellt. Ein schwarzer Geländewagen. Ein Nummernschild aus Galway.
Fin bremste abrupt, ließ sein Auto langsam ausrollen und blieb mitten auf der Straße stehen. In sicherer Entfernung. Was immer er dafür hielt.
Er schniefte.
Und jetzt?
Er putzte sich gründlich die Nase. Die Kopfschmerzen nahmen zu.
Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen, die Anspruch auf den schwarzen Wagen erheben konnte. Kein Spaziergänger. Kein Angler. Nein, er brauchte sich nichts vorzumachen. Charlotte Quinn hatte Besuch.
Das Wasser stand hoch, Wellen schwappten auf den Damm und hinterließen kleine Seen auf dem grobgemauerten Granit. Fin wagte nicht zu beurteilen, ob das nun die hereinkommende Flut war oder ob das Wasser gerade ablief. Aber je länger er die Wellen beobachtete, desto mehr kam er zu der Überzeugung, dass ihm nicht viel Zeit blieb. Wenn er jetzt hinüberging, würde er auf der Insel festsitzen. Zusammen mit Charlotte. Und dem Fahrer des schwarzen Geländewagens.
Er zögerte. Kaute unschlüssig auf seiner Unterlippe. Der Motor schnurrte im Leerlauf. War er bereit, diese Begegnung zu riskieren? Jack Keane gegenüberzutreten? Möglicherweise die Auferstehung Thomas Keanes von den Toten zu erleben?
Wenn er diese Gelegenheit jetzt nicht beim Schopf packte, würde sie sich wahrscheinlich nie wieder bieten.
Entschlossen wendete er den Wagen und fuhr zurück. Etwa einen halben Kilometer. Stellte den Wagen auf den kleinen Parkplatz bei den steinernen Mönchen und lief den Weg zurück.
Er kam gerade rechtzeitig, um eine Gestalt über die Insel wandern zu sehen. Die Sonne stand bereits tief, Novembertage sind kurz. Es war nur eine Silhouette, aber das leuchtend rote Haar verriet sie. Wahrscheinlich holte sie ihr Pferd. Nein, sie ging in die entgegengesetzte Richtung. Und war plötzlich verschwunden.
Fins Augen suchten die Inselkuppe ab. Irgendwo musste sie wieder auftauchen. Er hatte geglaubt, von seinem Standort jeden Winkel der Insel einsehen zu können. Aber er hatte sich geirrt.
Er konnte nicht länger warten und rannte los. Wich den Wellen aus und schaffte es halbwegs trockenen Fußes über den Damm. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Vorsichtig pirschte er den Hügel hinauf, ständig auf der Hut, auf jede noch so kleine Bewegung in seinem Blickfeld gefasst. Instinktiv lief er mit geduckter Körperhaltung, was eigentlich ziemlich albern war, da es weit und breit keine Deckung gab, nur Gras. Für jeden noch so unbedarften Beobachter gab er eine äußerst verdächtige Figur ab. Er riss sich zusammen. Schließlich hatte er nichts zu verbergen, oder?
Er versuchte, aus dem allgegenwärtigen Rauschen aus Meer und Wind einzelne
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