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Die irische Meerjungfrau

Die irische Meerjungfrau

Titel: Die irische Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Roemer
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überzulegen, aber er wagte es nicht. Sie sah so seltsam friedlich aus. Ein Ohrring glitzerte durch ihre roten Haarsträhnen. Sie hatte Make-up aufgelegt. Gerade so viel, dass es einem aufmerksamen Beobachter auffiel. Eine frische Röte überzog ihr Gesicht. Es stand ihr gut.
    Sie erwartete jemanden. Ganz gewiss nicht ihn, Fin.
    Jack Keane?
    Erst jetzt bemerkte er die Katze, die sich zu ihren Füßen zusammengerollt hatte. Sie starrte ihn an, regungslos, zwei glühende grüne Punkte im Halbdunkel.
    Fin ließ sich nicht einschüchtern. Er schaute sich um, lauschte auf ungewohnte Geräusche. Durch die zerbrochenen Fenster hörte er das Meer, ein kalter Luftzug ließ die langen Wedel der Palme leise rascheln.
    Sie schien allein zu sein. Niemand sonst, der mit ihr zusammen auf das Eintreffen des ominösen Schiffes wartete, für das das Leuchtfeuer seine einsamen Runden drehte.
    Sein Blick fiel auf die Glasscherben, die im Dämmerlicht glitzerten wie ein Mosaikfußboden. Warum hatte sie das getan? Wahrscheinlich war sie ebenso wütend auf ihn gewesen wie er auf sie. Da ging schon mal was zu Bruch.
    Wieder ertönte das Nebelhorn des Leuchtturms, und wieder folgte einige Sekunden später das Echo von See her. Fin versuchte, die Distanz abzuschätzen, versuchte sich auszurechnen, wie viel Zeit ihm noch blieb.
    Er musste sich entscheiden. Würde ihm der Van Gogh genügen, dann sollte er sich beeilen. Wenn er allerdings herausfinden wollte, wer hinter dem Deal steckte, musste er sich in Geduld üben. Letzteres war in jedem Fall gefährlicher, zumal er unbewaffnet war. Er hätte Verstärkung anfordern sollen, aber ohne Handynetz? Jetzt war es eh zu spät.
    Er fragte sich, wie sie jetzt schlafen konnte. Sie musste sich ihrer Sache sehr sicher sein.
    Er räumte die Zeitschriften von dem kleinen niedrigen Tisch neben der Hängematte und hoffte, er würde sein Gewicht tragen. Als er sich setzte, knackte das Holz widerstrebend, aber es hielt. Er stützte die Ellbogen auf die Knie und war auf Augenhöhe mit Charlotte. Aufmerksam betrachtete er ihre Gesichtszüge, versuchte darin Thomas Keane zu finden, den Mann, den er nie kennengelernt hatte, aber er schaffte es nicht. Er sah immer nur Charlotte.
    Was wäre aus ihnen beiden geworden, wenn er ihr Geheimnis nicht entdeckt hätte? Wenn sie gar kein Geheimnis gehabt hätte. Wenn sie eine ganz gewöhnliche Frau gewesen wäre. Hätten sie eine Chance gehabt, eine gemeinsame Zukunft?
    Vielleicht.
    Er schaute zu Boden. Seine Schuhe hatten bereits kleine Pfützen hinterlassen.
    Etwas in ihm bewunderte sie, wenn auch widerwillig. Sie hatte jemand anders sein wollen. Sie hatte einen radikalen Entschluss gefasst und war ihrem Ziel bis zum Ende treu geblieben. Sie hatte es geschafft. Er fragte sich, ob er selber wohl den Mut aufgebracht hätte, einem solchen Weg so kompromisslos zu folgen. Wahrscheinlich nicht. Seine Suche nach einem Sinn in seinem eigenen Leben nahm sich dagegen aus wie ein Spaziergang im Park. Er war noch weit davon entfernt, mit sich selber ins Reine zu kommen, aber auch er würde es schaffen.
    Und er würde sie dabei zerstören …
    Die CD lief ins Leere, die Musik verstummte. Das Meer hatte die Bühne wieder für sich alleine, füllte den Raum mit seiner vertrauten Sinfonie aus unablässigem, eintönigen Rauschen, nur unterbrochen vom Einsatz des Nebelhorns.
    Die Antwort folgte schnell dieses Mal – und sie war verdammt nah.
    Fin sprang auf.
    Die Katze schrak zusammen und machte einen Satz von der Hängematte. Etwas klirrte auf dem Steinboden, etwas kleines, das gerade in tausend Scherben zersplittert war. Die Katze hielt für eine Sekunde inne, warf ihm einen giftgrünen Blick zu und verschwand auf lautlosen Pfoten in der Dunkelheit des Treppenhauses.
    Fin blickte irritiert auf die Hängematte, die leicht schaukelte wie von einem sanften Windstoß bewegt.
    Charlotte rührte sich nicht.
    Auf dem Fußboden unter ihr lagen dunkle Scherben. Reste einer kleinen Arzneiflasche. Fin bückte sich. Er erwartete eine Lache, Spritzer, den Inhalt der Flasche über den Boden gegossen, aber rundherum war alles trocken. Wenn man von seinen Fußspuren absah. Die Flasche musste leer gewesen sein. Er hob eine Scherbe auf, an der noch ein Rest des Etiketts klebte. Noch ehe er die Schrift entziffert hatte, wusste er Bescheid.
    Diocacin.
    Er sprang auf. Beobachtete Charlotte.
    Wo waren die gleichmäßigen Atemzüge einer Schlafenden?
    Er beugte sich über sie.
    In einer Stofffalte der

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