Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die irische Meerjungfrau

Die irische Meerjungfrau

Titel: Die irische Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Roemer
Vom Netzwerk:
Jacke. »Hiermit vielleicht?«
    Fin erstarrte. Er hatte es geahnt. Jack Keane nagelte ihn mit seinen hellen Augen fest, versuchte abzuschätzen, was sein Gegner bereit war zu riskieren. Aber er erkannte schnell, dass Fin kein gleichwertiger Gegner war. Müde ließ er die Waffe sinken. »Nein, Fin O’Malley, du nicht …«
    Er trat an die Hängematte heran, die zwischen ihm und Fin hing, und betrachtete die Frau, die bis vor zehn Jahren sein Bruder gewesen war. »Eigentlich müsste ich sauer auf dich sein.« Ein Seitenblick verriet Fin, wer gemeint war. »Wenn du nicht gewesen wärst …«
    Er ließ das Ende des Satzes offen. Fin ahnte, dass Jack ihm die Schuld daran gab, dass Charlotte diesen letzten Ausweg gewählt hatte. Vielleicht nicht ganz zu unrecht.
    »Aber ich habe immer befürchtet, dass es eines Tages soweit kommen würde. Er hatte sich vieles zu einfach vorgestellt … Er hat es schon mal versucht, weißt du?« Seine harten Züge schienen nicht mehr ganz so abweisend. »Vielleicht ist es gut so wie es ist. Wenn die Polizei Charlie geschnappt hätte, was glaubst du, wo sie ihn hingesteckt hätten? In den Männerknast? Oder in den Frauenknast?«
    Es klang zynisch aus seinem Mund, aber Fin waren die geröteten Augen nicht entgangen. Ganz sicher hatte er die Tote vor ihm gefunden. Seinen Frieden mit ihr gemacht. Vielleicht aber hatte er schon vor zehn Jahren getrauert, als er einen Bruder verloren hatte.
    »Sie wusste, dass ich Polizist bin?«
    »Jeder in Foley wusste es.«
    Soviel zu seiner Tarnung.
    »Als ich gemerkt habe, dass du dich für Charlie interessierst, hab ich ihn gewarnt. Aber er ließ sich nicht beirren. So war er halt, unser Tommy, schon als kleiner Junge. Wenn er mal was in seinem Dickschädel drin hatte …«
    Die Vergangenheitsform fiel ihm erstaunlich leicht, leichter als die Worte Charlotte oder sie. Charlie war neutral, damit konnte er leben, nicht aber mit Charlotte. Sein Herz hatte sich wohl nie so recht damit abgefunden, dass der kleine Bruder, der einst mit ihm durch dick und dünn gegangen war, nun seine Schwester war.
    »Ausgerechnet ein Bulle …«
    »Sie hat mich benutzt«, entgegnete Fin illusionslos.
    Jack zuckte mit den Achseln. »Hast du doch auch. Oder was sollte dieses Schmierentheater mit dem Journalisten, der hinter Shergar her war? Du warst doch bloß scharf auf den Van Gogh.«
    Fin wandte sich schuldbewusst ab. Draußen vor den zersplitterten Fensterscheiben breitete sich graues Morgenlicht aus. Die ersten Möwen machten sich auf die Suche nach einem Frühstück. Die Luft im Raum war kalt und feucht. Genau wie seine Jeans und seine Schuhe. Jack hatte recht, wenigstens was den Anfang der Geschichte betraf.
    »Erst dachte ich noch, das sei ne fabelhafte Idee«, fuhr Jack fort, »solange du um Charlie herumscharwenzelt bist, wussten wir immer, wo du steckst, was du gerade treibst, wie weit du mit deinen Nachforschungen bist. Aber dann hab ich gemerkt, dass Charlie sich mehr für dich erwärmt hat als mir lieb war. Im Leben hab ich nicht damit gerechnet.«
    »Du warst es, nicht wahr? Du hast auf mich geschossen.«
    »Ich wollte dich nicht treffen«, wehrte er ab, »bloß warnen. Oder besser noch verscheuchen. Scheinst aber von der hartnäckigen Sorte zu sein, was? Der Teufel weiß, welchen Narren er an dir gefressen hatte.«
    Er beugte sich über die Hängematte. Legte die Pistole zur Seite. Nahm die Wolldecke von ihren Füßen und deckte sie sorgfältig zu. Sie sah aus, als ob sie friedlich schlief.
    »Der Unfall vor zehn Jahren«, begann Fin.
    »Alles Schwindel. Ein Ablenkungsmanöver … Mein kleiner Bruder war noch nie ’n richtiger Kerl gewesen, wenn du weißt, was ich meine. Hat schon in der Schule immer nur eingesteckt, nie ausgeteilt. Ich hab ihn immer raushauen müssen.« Er strich ihr liebevoll eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Aber als er zu mir kam und mir erzählte, was er vorhatte, da hats mich glatt umgehauen.«
    Er zog ein Päckchen Zigaretten aus dem Inneren seiner Jacke. Fin erkannte die Filterlosen aus dem Aschenbecher.
    »Es war echt nicht einfach, sich mit dem Gedanken anzufreunden, statt eines Bruders in Zukunft eine Schwester zu haben.«
    Er hatte sich bis heute nicht damit abgefunden. Vermutlich hatte er nie verstanden, was seinen Bruder zu diesem Schritt bewegt hatte. Hatte wahrscheinlich ebenso wenig zuhören wollen wie Fin. Er steckte sich eine Zigarette in den Mundwinkel und zündete sie an. »Ich hab natürlich versucht, es ihm

Weitere Kostenlose Bücher