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Die irische Meerjungfrau

Die irische Meerjungfrau

Titel: Die irische Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Roemer
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abdrücken. Es war ganz einfach. Und doch so schwer. Verdammt, er musste ihn ja nicht gleich töten! Vielleicht reichte es ja, wenn er ihn ins Bein schoss, damit er nicht abhauen konnte.
    Jack hatte den Türknauf in der Hand und sah ihn über die Schulter hinweg an. »Nein, das sähe doch zu sehr nach feigem Mord aus, oder? Ich drehe mich besser wieder um, dann kannst du’s als Notwehr hinstellen.«
    Er tat es und sah Fin erwartungsvoll an.
    Aber nichts passierte. Fin zielte. Aber sein Finger gehorchte ihm nicht.
    Jack riskierte ein selbstgefälliges Grinsen. Er hatte gewusst, dass Fin nicht abdrücken würde. »Soll ich dir was verraten?« Mit gemächlichen Schritten kam er zurückgeschlendert, blieb vor ihm stehen, die Hängematte eine Barriere zwischen sich und seinem Gegenüber. Ebenso bedächtig hob er den Van Gogh hoch, hielt ihn Fin in Augenhöhe vor die Nase und riss mit einem einzigen Ruck die Papierhülle runter.
    Fin zuckte zurück. Behielt aber die Pistole im Anschlag.
    »Schau genau hin.«
    Den Teufel würde er tun. Er richtete die Waffe unbeirrt auf Jack. Vielleicht ein klein wenig tiefer, um das Bild nicht zu treffen. Noch durchschaute er die Taktik nicht.
    Jack ignorierte die Pistole. »Fällt dir an dem Heiligenschein von dem Bengel in der Krippe irgendwas auf?«
    Fin wagte nicht, Jack auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. »Nein, was sollte mir auffallen?«
    »Das Weiß, mit dem die Farben aufgehellt wurden.«
    »Und? Was ist mit dem Weiß?«, blaffte er.
    »Alba 405.«
    »Alba – was?« Fin bekam langsam einen Krampf in die Arme.
    »Alba 405. Auch Antwerpener Weiß genannt. Eine Ölfarbe, die Anfang der Zwanzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts auf den Markt kam. Etwa dreißig Jahre, nachdem sich der gute Vincent das Lebenslicht ausgeblasen hat«, erwiderte Jack ungerührt, »alle anderen Farbpigmente stammen eindeutig aus dem neunzehnten Jahrhundert.«
    »Das heißt?« Die Antwort konnte er sich denken.
    »Der Van Gogh ist eine Fälschung. Zugegeben, eine ziemlich gute – aber eben eine Fälschung.« Jack legte den Kopf schief und lächelte, ein Abbild an Arroganz und Überheblichkeit.
    »Das glaub ich nicht. Die Experten …«
    »Experten! Träum weiter!«, spuckte Jack aus. »Es gibt Experten, die bestätigen dir genau das, was du hören willst, solange das Honorar stimmt!« Er betrachtete das Bild in seinen Händen. »Charlie hat es herausgefunden, als er den Van Gogh übermalt hat. Und glaub mir, wenn jemand Ahnung hatte von alten Bildern und Farben …«
    Das musste ein Trick sein. Irgendein Ablenkungsmanöver.
    »Warum erzählst du mir das? Glaubst du, ich lass dich jetzt mit dem Ding laufen, bloß weil du mir weismachen willst, es sei kein echter Van Gogh?« Die Pistole wog immer schwerer in seinen Händen. »Netter Versuch …«
    Jack ließ das Gemälde sinken, legte es schließlich behutsam auf die Hängematte. Auf die Decke zu Charlottes Füßen.
    »Du hast mich gefragt, ob es das wert war«, sagte er unvermittelt leise, ohne Fin dabei anzuschauen. Er strich mit einer Hand über die glänzende Oberfläche des Ölbildes, als müsse er eine imaginäre Staubschicht fortwischen. »Ja, ich glaube, das war es wert. Ich glaube, sie hat dich wirklich gemocht.«
    Da war es plötzlich. Ein winziges, kaum hörbares »sie«, das über Jacks Lippen geschlüpft war.
    Er wandte sich ab, ging zur Tür und verließ den Leuchtturm, ohne noch einmal zurückzuschauen. Fin sah ihm nach, verfolgte ihn durch die zertrümmerten Fenster, wie er ohne Eile über die Wiese zur Treppe schritt, die hinab ans Meer führte, und aus seinem Blickfeld verschwand.
    Er spürte, wie die Anspannung von ihm abfiel. Wie sich die Finger von der Pistole lösten. Wie der Schuss sich fast von alleine löste.
    Mit lautem Krachen platzte das Glas in der Tür. Die letzte noch intakte Scheibe der Veranda zerbarst in tausend Stücke.

Fin
    Er hatte ein Problem.
    Er musste seinem Chef erklären, wieso er mit der Beute zurückkam, aber ohne den Dieb. Und er musste diesen Umstand in eine Geschichte verpacken, die einerseits plausibel war, aber andererseits so weit weg von der Wahrheit wie irgend möglich. Für einen Polizisten keine leichte Aufgabe.
    In Gedanken hatte er verschiedene Varianten durchgespielt, und er war zu dem Ergebnis gekommen, dass er den Van Gogh schlicht und einfach gefunden hatte. Zugegeben, das war wenig heldenhaft, aber es vermied zeitraubende Untersuchungen.
    Als Fundort wäre natürlich

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