Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
Vom Netzwerk:
Carrer Trafalgar gesehen. Er befand sich, äh, in Begleitung, äh, eines, äh Flittchens, wenn man so sagen dürfe.
    Im selben Moment war er für Frau Rifà gestorben. Nicht der Rede wert, ein Nichtsnutz, der ihr ein paar Cent schuldete. So was passiert in Barcelona. Als Kind hatten ihr ihre Eltern, sehr religiös, beigebracht, dass man niemals Gefühle zeigen dürfe. Am nächsten Morgen schob sie ein zweites Bett in das leere Zimmer und setzte zwei neue Mieter hinein, die gerade vom Himmel gefallen waren, Gabriel und Bundó. Auf diese Weise stellte sie für sich selbst klar, dass das Kapitel abgeschlossen war. Sie räumte einige der Tiere um und warf auch eins von ihnen in den Müll: einen armen Waschbären, der um die halbe Welt gereist war, um auf diese Weise zu enden, und das nur, weil die Maske vor seinen glasigen Augen Frau Rifà zu sehr an den Herrn aus Logroño erinnerte; daran, wie sich immer, wenn er sich über seine beiden alleinstehenden Töchter beklagte, sein Blick verschleierte.
    Von diesem Tag an begann die Wirtin die Zimmer nach den Tieren zu benennen, die sie beherbergten. Das Dachszimmer. Das Waldschnepfenzimmer. Das Eidechsenzimmer. Gabriel und Bundó fanden also im Frettchenzimmer Unterkunft, es war sehr eng für zwei, bot aber den kleinen Luxus eines Fensterchens auf den Innenhof. Im Sommer war man für das bisschen Luftzug dankbar. Außerdem verlangte ihnen Frau Rifà einen lächerlich geringen Preis ab, denn sie hatte es eilig, das Zimmer mit neuem Leben zu füllen. Und weil sie meist eh den ganzen Tag mit den Umzugsfahrten beschäftigt waren, zahlten sie auch nicht fürs Mittagessen.
    Wenn unsere Mütter ihn fragten, wo er in Barcelona wohne, erzählte ihnen unser Vater von der Pension, aber ohne Einzelheiten über das Stadtviertel, die Zimmer oder das Leben, das er dort führte. Er und Bundó blieben viele Jahre unter dem Dach der Señora Rifà, erst zusammen in einem Raum, später jeder für sich, und er schien die sechs Zimmer in der Erinnerung kaum auseinanderhalten zu können. Ein Bett, ein Schrank, ein Stuhl, ein Tischchen, vielleicht noch ein Spiegel und ein Waschtisch, ein ausgestopftes Tier. Frau Rifà hatte eine Art Hierarchie eingeführt, in der man umso höher stieg, je länger man bei ihr wohnte. Zog ein Mieter aus oder verstarb (auch das kam vor), hatte der Dienstälteste unter den Verbleibenden das Recht, das frei gewordene Zimmer zu übernehmen. Gabriel durchlief auf diese Weise Zimmer um Zimmer, bis er im besten ankam, dem Falkenzimmer. Dass er auch im allerbesten gelandet wäre, dem der Wirtin, können wir nicht bestätigen. Jedenfalls störten er und Bundó sich nicht weiter an den Regeln, die Frau Rifà aufstellte, sie waren dergleichen ja aus dem Waisenhaus gewohnt, und sie wollten keinen Streit. Das Zusammenleben mit den anderen Mietern half ihnen aber durchaus dabei, sich in ihrer neuen Welt zurechtzufinden. Zwar verbrachten sie den Großteil des Tages mit den Möbelpackern von La Ibérica und einer Arbeit, die wenig Raum zum Denken ließ. Doch das Gespräch mit den Mitbewohnern beim oder vor dem Abendessen konnte ihnen das Gehirn immer wieder erfrischen. Der Beton in ihren Köpfen war noch weich, die Eindrücke tief. Die Ratschläge, Anekdoten oder hitzigen Worte bei Tisch vermochten sie noch zu erschüttern, und plötzlich erwischten sie sich bei einer ungekannt heftigen Reaktion auf etwas, was jemand sagte, oder bei einem Lachen, mit dem sie einen Witz für Eingeweihte oder ein verschwörerisches Zwinkern genossen. Die Freundschaft, die sie seit frühester Kindheit einte, stand nie infrage. Doch in der Pension lernten Gabriel und Bundó, dass es nicht schlimm war, auch mal unterschiedlicher Meinung zu sein. Und noch hatte ihnen das namenlose Alter sein Sicherheitsnetz nicht entzogen.
    Eine vollständige Liste der Kurz- und Dauermieter, mit denen unser Vater in der Pension zu tun hatte, wäre unmöglich und würde uns ewig aufhalten. Ende der Sechzigerjahre, als drei von uns schon geboren waren und er uns in Paris, Frankfurt und London ab und zu besuchen kam, lebte er seit über zehn Jahren bei Frau Rifà. Über zehn Jahre, das sagt sich so leicht. 1969 hatte Bundó seine Spardose geknackt und sich auf Kredit eine staatlich geförderte Wohnung gekauft. Anderthalb Jahre später war er dorthin umgezogen. Gabriel aber war ihm nicht gefolgt. Er fühlte sich wohl mit der gleichsam nomadischen Lebensweise, zu der sich die Lkw-Reisen quer durch Europa und die

Weitere Kostenlose Bücher