Die Jagd - Laymon, R: Jagd - The Endless Night
befinden.
Da habe ich noch mal Glück gehabt, dachte sie.
Hier würden sie sie niemals finden.
Sie musste sich auf die Suche nach Andy machen. Doch zuerst senkte sie den Kopf wieder und ruhte noch etwas aus. Während sie darauf wartete, dass sich Atmung
und Herzschlag langsam wieder normalisierten, lauschte sie konzentriert. Sie hörte das Zwitschern und Schnattern der Vögel, Autos auf einer weit entfernten Straße, das leise Summen eines Propellerflugzeugs, das Schlagen einer Tür, das Bellen eines Hundes und Musik und Stimmen, die offenbar aus einem Fernsehapparat drangen.
Was sie nicht hörte, waren knackende, knirschende Schritte im Unterholz.
Und das war gut so.
Auch die Klänge aus dem Fernseher waren ein gutes Zeichen. Obwohl Geräusche in stillen Sommernächten wie dieser weithin zu hören waren, bedeutete der Fernseher doch, dass sich jemand in der Nähe befand. Möglicherweise konnte sie sich bis zu diesem jemand durchschlagen.
Doch daran wollte sie noch nicht denken.
Später.
Im Moment war sie gut versteckt und in Sicherheit. Sie war glücklich, noch am Leben zu sein, und wollte es nicht erneut aufs Spiel setzen, indem sie sich auf einen Streifzug durch unbekanntes Gelände begab.
Erst einmal muss ich Andy finden, dachte sie.
Sie biss die Zähne zusammen und stemmte sich vom Boden hoch. Obwohl ihre Haut unerträglich brannte, zwang sie sich dazu, sich aufzurichten. Sobald sie auf den Beinen war, zerrte sie so lange an dem zerknüllten, feuchten Lappen, der einmal ihr Nachthemd gewesen war, bis er ihr wieder über die Hüfte fiel.
Zu ihrer Rechten führte eine dicht mit Bäumen und Büschen bewachsene Anhöhe zur Hinterseite des Youngman-Hauses hinauf. Viel davon konnte sie nicht erkennen,
und die Mauer war überhaupt nicht zu sehen. Glücklicherweise bewegte sich nichts in der Dunkelheit.
Zu ihrer Linken waren weitere Bäume und von spärlichem Mondlicht beschienenes Unterholz. Aber kein Lichtschein von Häusern oder Straßenlaternen. Seltsam. Sie mussten doch da sein. Sie war oft genug hier herumspaziert und wusste, dass sich um jeden dieser Hügel eine von Häusern gesäumte Straße schlängelte.
Und wenn sich auf einem Hügel Häuser befanden, war auch der Grund darunter bebaut. Jetzt befand sie sich am Fuß eines solchen Hügels und musste somit ziemlich nahe am nächsten Haus sein.
Aber wieso sehe ich kein Licht?
Möglicherweise ein Stromausfall, dachte sie.
Das gefiel ihr ganz und gar nicht. Vielleicht hatten diese Männer den Stromausfall absichtlich herbeigeführt, um im Dunkeln ihr Unwesen treiben zu können.
Und wenn es nicht nur diese paar Kerle sind? Was, wenn es von ihnen nur so wimmelt? Es könnten Hunderte sein. Wie in Die Nacht der lebenden Toten .
Nein, das ist doch Irrsinn.
Die ganze Geschichte ist sowieso schon irre und krank genug. Da muss ich es nicht noch schlimmer machen, indem ich meine Fantasie verrücktspielen lasse.
Vor fünf oder zehn Minuten war der Strom noch nicht ausgefallen gewesen. Sie hatte das Licht aus dem Haus der Youngmans selbst über die Mauer hinweg sehen können. Außerdem – wenn diese Wilden tatsächlich die Lichter im Viertel zum Verlöschen bringen konnten, dann hätten sie dies sicher vor ihrem Angriff getan.
Bestimmt gibt es gar keinen Stromausfall, dachte sie. Wahrscheinlich verdeckten ihr nur die Bäume und das
Grünzeug die Sicht. Außerdem war fast jedes der Häuser von einem dichten Zaun oder einer Mauer umschlossen, um die Wildnis am Fuß des Hügels von den Gärten fernzuhalten.
Wahrscheinlich konnte sie die Straße nur erreichen, wenn sie noch einmal über einen Zaun kletterte.
Noch einmal?
Sie würde Andy wieder helfen müssen.
Dazu musste sie ihn jedoch erst mal finden.
Wieder lauschte sie konzentriert.
Die sind schon lange weg. Kann gar nicht anders sein.
»Andy?«, rief sie leise.
Reglos stand sie da und spitzte die Ohren. Keine Antwort.
»Andy!«, rief sie noch einmal, diesmal etwas lauter.
Dann wartete sie.
Vielleicht ist er ohnmächtig geworden.
Er war von derselben Mauer wie Jody gefallen und höchstwahrscheinlich auch denselben Abhang hinuntergerollt. Doch im Gegensatz zu ihr war er nicht im Bachbett gelandet.
Ob sie ihn erwischt haben?
»Jody?«
Sie wirbelte herum. »Andy?«
»Wo bist du?«, ertönte die leise, verängstigte Stimme des Jungen.
»Ich komme!«, rief Jody.
7
Sie brauchte nur wenige Minuten, um Andy zu finden. Er lag im Schatten eines überhängenden Felsens. Jody konnte nur die blasse
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