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Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)

Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)

Titel: Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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vergessen, dass ein Arzt, der ein erkranktes Kind behandelt, zunächst einmal nicht davon ausgeht, willentlich getäuscht zu werden. Er würde vielleicht misstrauisch, wenn eine Erkrankung trotz positiver Prognose über einen längeren Zeitraum hinweg bestehen bleibt. Aber wie gesagt: Die Täterinnen sind höchst einfallsreich und wechseln in aller Regel auch recht häufig die Ärzte. Außerdem sprechen wir hier über einen Fall aus den sechziger Jahren“, setzte sie nach kurzer Pause hinzu. „Das waren völlig andere Zeiten. Und selbst heute, wo das Thema ja durchaus einer breiteren Öffentlichkeit bekannt ist, wäre die Wahrscheinlichkeit, dass einer der behandelnden Ärzte auf den richtigen Dreh kommt, äußerst gering. Immerhin sind das in der Mehrzahl ja Internisten oder Allgemeinmediziner.“
    „Mal angenommen, Brigitte Dahl hätte tatsächlich am Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom gelitten“, resümierte Winnie. „Welche Auswirkungen hätten diese Art von Misshandlungen auf ihre Töchter gehabt?“
    „Dazu wollte ich gerade kommen“, entgegnete Dr. Frescobaldi. „Es ist nicht unmöglich, aber doch äußerst unwahrscheinlich, dass alle drei Mädchen in gleichem Ausmaß von den Übergriffen betroffen waren. Zumindest nicht im gleichen Zeitraum.“
    Unwillkürlich musste Winnie an etwas denken, das Yvonne Paland gesagt hatte. Wenn man älter wird, passt man natürlich besser auf sich auf, nicht wahr?
    „Aber wie auch immer, die Opfer solcher Gewalttaten tragen in jedem Fall schwerste psychische Schäden davon“, erklärte Dr. Frescobaldi. „Viele von ihnen entwickeln als Erwachsene selbst ein Münchhausensyndrom.“
    Und wieder musste Winnie an Yvonne Paland denken. Hatte Lilli Dahls Schwester nicht von Kindern gesprochen, ihren Kindern, die längst erwachsen und aus dem Haus waren? Sie fühlte, wie sich eine Gänsehaut über ihre Arme breitete.
    „Die Betroffenen leiden unter Essstörungen, Depressionen und Autoaggressionen“, fuhr ihre Gesprächspartnerin indessen mit abgeklärter Routine fort. „Und auch die dissoziativen Störungen, wegen derer Elisabeth Dahl hier bei uns behandelt wurde, würden zu der genannten Vorgeschichte passen. Darüber hinaus neigen Kinder solcher Mütter aufgrund ihrer Erlebnisse auch verstärkt zu multiplen Persönlichkeitsstörungen.“
    Winnie horchte auf. In der Pause, die die Ärztin machte, schien eine tiefere Bedeutung  zu liegen. „Soll das heißen, sie entwickeln eine Art zweites Ich , um sich zu schützen?“
    „Eins oder mehrere, ja.“ Dr. Frescobaldi holte Luft. „Die starken Unterschiede im Schriftbild Ihres Opfers könnten ein Indiz für eine derartige Störung sein“, erklärte sie. „Und außerdem ist Ihnen gewiss aufgefallen, dass sich Lillis Erinnerungen gelegentlich zu überlappen scheinen, etwa bei der Schilderung der Krankengeschichte ihrer Schwester.“
    „Die zum Teil ihre eigene ist?“
    „Genau“, stimmte die Psychologin ihr zu. „Und dann diese Sache auf dem Friedhof, wo sie sich selbst quasi von außen betrachtet …“ Sie zögerte. „Für mich ist das ein deutliches Zeichen dafür, dass hier Gefühle massiv abgespalten wurden. Auch und besonders im Zusammenhang mit dem Tod der Schwester …“
    Arme Lilli, dachte Winnie, während sie im Geiste wieder Brigitte Dahl auf ihrem schäbigen Sessel kauern sah. Sie dachte an den Eifer, mit dem die alte Frau über die Krankheiten ihrer Kinder gesprochen hatte. Und daran, wie der Asthmaanfall ihres Mannes sie urplötzlich aus ihrer Lethargie gerissen hatte. Wie sie aufgesprungen war. Geschäftig und … Ja, dachte Winnie, in diesem Moment hat sie beinahe glücklich ausgesehen.
    „Die misshandelnden Mütter sind in ihrer Kindheit übrigens fast ausnahmslos selbst Opfer von psychischem oder physischem Missbrauch gewesen“, schloss Dr. Frescobaldi in diesem Augenblick. „Diese Sache mit den Röcken, die Elisabeth nicht tragen durfte, spricht meines Erachtens für eine gewisse Erfahrung auf diesem Gebiet.“
    Winnie nickte. „Etwas Ähnliches habe ich auch sofort gedacht.“
    Und wenn Sie schon nach Dreck suchen, dann sollten Sie vielleicht bei den lieben Großeltern anfangen , stimmte eine imaginäre Rosemarie ihr zu. Ich sage Ihnen, der alte Lösche war einer von der ganz schlimmen Sorte. Konnte seine verdammten Finger keine Sekunde bei sich lassen .
    Winnie schlug nach einer Fliege, die um ihren Kopf surrte. „Würden Sie es für möglich halten, dass Lilli Dahl imstande war, ein

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