Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
mir erzählt hast.“
Die Kleine reagierte nicht. In ihren Augen lag Misstrauen, fast Abgebrühtheit. Auf jeden Fall eine große Distanz.
Verhoeven kannte diese Art von Blick. Mich kann nichts erreichen. Du kriegst mich nicht klein. Ihr alle nicht. Scheiß auf die Welt. Er kannte diese Art von Blick, und er wusste auch um die Umstände, derer es bedurfte, damit ein siebenjähriges Kind so guckte. „Ich würde gerne alleine mit ihr sprechen“, wandte er sich wieder an die Mutter.
Annette Lauterbach schüttelte heftig den Kopf. „Nein. Auf keinen Fall. Das wäre … Das dulde ich nicht.“
Er beachtete sie nicht, sondern machte stattdessen einen Schritt auf Miriam zu. „Wie heißt du?“, fragte er, nur um zu sehen, ob sie ihm überhaupt antworten würde.
Aber natürlich antwortete sie nicht.
„Okay, du musst nicht mit mir sprechen“, sagte er. „Aber der Mann, der dich in sein Auto locken wollte, hat möglicherweise ein anderes Mädchen entführt, und wir machen uns große Sorgen, dass er diesem Mädchen etwas antun könnte.“
Interessiert mich nicht , sagte ihr Blick. Aber sie hörte ihm zu. Immerhin.
„Das Mädchen, das wir suchen, ist viel kleiner als du.“ Verhoeven beobachtete sie genau. Er spürte, wie die Mauer, die sie um sich errichtet hatte, langsam zu bröckeln begann. „Sie ist noch nicht in der Lage, sich selbst zu helfen, wenn der Mann ihr etwas tun will.“
Sie schien nachzudenken. Ihre Züge wurden weicher, und Verhoeven sah mit Staunen, wie Miriam Lauterbach unter seinen Augen ein paar Jahre jünger wurde.
„Und deshalb ist es sehr wichtig für uns, alles über diesen Mann zu erfahren, was du weißt, verstehst du?“, fuhr er ermutigt fort. „Damit wir ihn finden und das Mädchen wieder nach Hause bringen können.“
„Wie alt ist dieses Mädchen?“, wollte sie wissen.
„Drei.“
Sie nickte.
„Könntest du mir den Mann, der dich belästigt hat, beschreiben?“
Soll ich? Darf ich?
Verhoeven konnte es beinahe körperlich spüren, wie sie mit sich rang.
Sie blickte jetzt an ihm vorbei, zu ihrer Mutter.
Ausgerechnet, dachte Verhoeven. Er brauchte nicht besonders viel Phantasie, um zu wissen, wo die Schwerpunkte in Annette Lauterbachs Leben lagen und dass ihre Tochter nicht dazu gehörte. Und er konnte sich auch lebhaft vorstellen, mit welcher Gleichgültigkeit sie das Mädchen allein in die Welt hinaus schickte, um sich in aller Ruhe ihren wechselnden Männerbekanntschaften widmen zu können. Wie genervt sie reagierte, wenn ihr Kind ihre Zigarettenpause unterbrach, um ihr eine Hausaufgabe zu zeigen. Wie sie das Kochen vergaß, das Einkaufen, das Nachhausekommen.
Sein Blick fixierte Miriam, doch die sah noch immer ihre Mutter an.
Familienbande, dachte er bitter. Leibliche Eltern können sich viel erlauben, und ihre Kinder sind oft noch nach den schlimmsten Erfahrungen bereit, zu verzeihen. Sie hoffen, dass sich irgendwann alles ändert, dass es besser wird, selbst wenn sie hundertfach das Gegenteil erfahren. Wie sagte man doch so schön? Blut ist dicker als Wasser. Aber stimmte das wirklich? Sein Blick krallte sich an Miriam Lauterbachs zarter Schulter fest. Würde er Schmitz tatsächlich leichter verziehen haben, wenn er sein leiblicher Vater gewesen wäre? Hatte ihm denn nicht gerade das Wissen um ihre Nicht-Verwandtschaft vieles erleichtert? War es nicht hilfreich gewesen, sich vorzustellen, dass sein richtiger, sein leiblicher Vater ganz anders gewesen wäre, dass sie Fußball gespielt hätten, in den Zoo und zum Angeln gegangen wären, wenn das Schicksal sie nicht so früh getrennt hätte? Die Erinnerung entlockte ihm ein leises Schmunzeln. Er hatte mit seinem toten Vater gesprochen. Nachts, wenn alle geschlafen hatten, hatte er am Fenster gestanden und ihm von der Eins in Mathematik erzählt und davon, wie dumm und primitiv Schmitz doch sei. Wie schmerzhaft musste es dagegen sein, zu wissen, dass die eigenen, die leiblichen Eltern sich nicht die Bohne für einen interessierten?
Er zuckte zusammen, als ihm bewusst wurde, dass Miriam Lauterbach längst wieder zu ihm aufsah.
Ihre Mutter hatte sich abgewandt. Ich weiß es nicht, keine Ahnung, deine Entscheidung, Baby .
Verhoeven ging in die Knie. „Weißt du noch, wie der Mann ausgesehen hat?“
In ihren Augen lag ein beinahe spöttischer Ausdruck, als sie nickte. Klar weiß ich, wie der Mann ausgesehen hat. Ich bin doch nicht blöd!
10
„Sie haben uns angelogen.“
„Nein, habe ich
Weitere Kostenlose Bücher