Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
Antennenharnischwels, der zugleich der älteste Bewohner ihres Aquariums war. Er sah irgendwie anders aus als sonst und benahm sich eigenartig passiv, was nicht am Alter liegen konnte, denn mit knapp vier Jahren war Papageno – gemessen an der normalen Lebenserwartung seiner Spezies – genau genommen noch ein Jungspund.
Winnie stand auf und presste ihr Gesicht gegen die Scheibe, um besser sehen zu können. Und tatsächlich: Der Körper des Welses wies an verschiedenen Stellen Verfärbungen auf, die bis in die Außenstrahlen der Schwanzflosse reichten.
„Oh Mann, das sieht ja fast aus, als hättest du dir irgendeinen richtig fiesen Ausschlag eingefangen“, murmelte sie, während sie mit routinierten Handgriffen Filter, Heizungsanlage und Ph-Wert überprüfte, doch hier lag erwartungsgemäß alles im grünen Bereich. „Das wird doch am Ende nicht etwa psychische Ursachen haben, oder, mein Dicker? Fühlst du dich zurückgesetzt, weil wir noch immer keine Frau für dich angeschafft haben? Ja? Ist es das? … Oder hast du wieder mal Stress mit deinem Mitbewohner?“
Ihre Augen suchten Da Ponte, ihr dreijähriges Paradiesfischmännchen, das sich zu ihrem Leidwesen nicht allzu gut mit Papageno verstand. Doch der prachtvoll rot-blau gezeichnete Da Ponte befand sich in der entgegengesetzten Ecke des Bassins und würdigte seinen lädierten Lieblingsfeind keines Blickes.
„ Aber keine Sorge, mein Dicker“, wandte sie sich tröstend wieder an ihren schuppigen Patienten, „das kriegen wir schon wieder hin! Ich besorge dir gleich morgen eine Medizin, einverstanden? Und jetzt gibt’s erst mal eine Extra-Gurke, ganz allein für dich, damit du wieder auf die Flossen kommst.“
Sie stand auf und holte das versprochene Leckerli aus dem Kühlschrank unter der Arbeitstheke, wobei sie gleich noch einen verschimmelten Blumenkohl und einige verfaulte Kartoffeln entsorgte. Anschließend beobachtete sie mit Erleichterung, wie sich ihr Wels voller Appetit über seine Gurke hermachte.
Gut …
Weiter!
Sie sah sich um. Saugen. Staub wischen. Und die Kacheln im Bad bräuchten auch wieder einmal eine ausgiebige Grundreinigung … Sie setzte Badreiniger und Essig auf ihre Einkaufsliste und faltete ein paar Pizzakartons zusammen, damit sie im Abfall nicht allzu viel Platz beanspruchten. Dann wuchtete sie den ersten von drei sorgfältig verschnürten Müllsäcken ins Treppenhaus.
„ Wo ist Lilli Dahls Rittersporn?“, murmelte sie, während sie sich zugleich einmal mehr über Verhoevens Angewohnheit ärgerte, den Blick von Beginn an auf irgendein unbedeutendes Detail zu richten.
Da schrieb eine verwahrloste Frau über ein verschwundenes Mädchen, über eine anscheinend komplett verkorkste Kindheit und den Psychoterror ihres cholerischen Ehemanns, und ihr Vorgesetzter fragte sich, wo denn eigentlich dieser Rittersporn war, den die Schreiberin nur beiläufig erwähnt hatte …
Leider war es genau diese Art von Fragen, die die unselige Angewohnheit hatten, sich in ihrem Kopf festzusetzen. Wo ist Lilli Dahls Rittersporn?
Gab es diesen verdammten Rittersporn überhaupt oder entstammte er einzig und allein Lilli Dahls blühender Phantasie? Aber warum sollte sie über eine Pflanze schreiben, die überhaupt nicht existierte? Warum sollte ihr Mann einen Mord gestehen, den er nicht begangen hatte? Und warum sollte er einen Reisepass von Lilli Dahl besitzen, wenn es gar nicht Lilli Dahl war, die man tot in seiner Hütte gefunden hatte?
Wir müssen mit der Familie sprechen, echote Verhoevens Stimme hinter ihrer Stirn. Einer von denen muss sie sich ansehen …
Ja, dachte Winnie. Und ich bin verdammt gespannt darauf, was ihre Leute zu all dem zu sagen haben!
10
Verhoeven hatte gerade die Tür seines Hauses erreicht, das sie sich – wie ihm von Zeit zu Zeit schmerzlich bewusst wurde – nur mit Hilfe einer großzügigen Erbschaft seiner Frau hatten leisten können, als der Vibrationsalarm seines Handys zu summen begann: Dr. Isabelle Gutzkow, die zuständige Pathologin, meldete, dass Lilli Dahl ertrunken war.
„I n diesem Weiher?“
„Sieht so aus“, antwortete die Pathologin. „Die Diatomeenkonzentration im Lungengewebe Ihrer Toten spricht jedenfalls für ungechlortes Süßwasser. Ich schicke gleich noch jemanden los und lasse Vergleichsproben nehmen.“
Er dachte an Lilli Dahls Aufzeichnungen. An ihre Angst vor dem See und die Sorge um ihren Mann, der jeden Tag geschwommen war.
„Haben wir denn konkrete
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