Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
Grunde hatte Winnie ihre vierzehnmonatige Therapie bei der Meldung zum Auswahlverfahren für den gehobenen Kriminaldienst gewissenhaft verschwiegen. Doch schon während der Gruppendiskussion und der anschließenden Einzelvorstellung vor der Auswahlkommission hatte sie Blut und Wasser geschwitzt vor Angst, dass sie auffliegen oder sich irgendwie verraten könnte. Und noch immer schwebte diese Lüge über ihrer Karriere wie das sprichwörtliche Damoklesschwert.
Verhoeven trank von seiner Cola, in der eine schlappe Zitronenscheibe schwamm. „Aus irgendeinem Grund habe ich das Gefühl, dass diese alten Verletzungen wichtig sind“ , murmelte er, mehr zu sich selbst als an sie gewandt.
„Wichtig wofür?“ , fragte Winnie.
Doch er antwortete nicht.
„Verdammte Scheißhitze“, schimpfte einer der Bauarbeiter, als die Kellnerin eine neue Runde Mineralwasserflaschen auf den Tisch knallte. „Der halbe Lohn geht drauf für so’n Mist hier.“ Er hielt eine der Flaschen hoch, die in der Wärme der Gaststube sofort beschlagen war.
„Letzte Woche hast du dich noch beschwert, dass es zu nass ist“, rief ein anderer.
„Irgendwas is’ immer falsch“, nickte ein braungebrannter Kahlkopf, der Winnie entfernt an Bruce Willis erinnerte.
„Falsch sag ich gar nicht, aber dass es dann gleich wieder so heiß werden muss“, rechtfertigte sich der erste. „Man kann ja gar nicht schnell genug nachlegen.“
„Stimmt“, kehlte sein Sitznachbar. „ Ist `n Wunder, dass ich überhaupt noch pissen kann, so viel, wie ich schwitze.“
Die anderen lachten.
„Glauben Sie, dass Helmut Dahl seine Kinder misshandelt hat?“, fragte Verhoeven, als der Lärm am Nebentisch wieder abgeebbt war.
„Sieht ganz danach aus, oder?“, entgegnete Winnie zögernd. „Andererseits war es die Mutter, die diese Pillen herumliegen ließ.“ Sie wischte einen Rest Mayonnaise mit den letzten beiden Fritten vom Teller und lehnte sich zufrieden zurück. „Sie wissen schon, diese Vergiftung, wegen der Lilli damals der Magen ausgepumpt wurde.“
„Frau Dahl könnte die Sache auch nur auf sich genommen haben, um ihren Mann zu entlasten“, widersprach Verhoeven. „Oder aus Furcht. Vergessen Sie nicht, dass sie selbst auch anscheinend auch ständig verletzt war.“
„Ach ja, die besagten linken Hände.“ Sie leerte ihr Eisteeglas in einem einzigen Zug. „Aber meinen Sie nicht, dass das am Ende doch zwei Paar Schuhe sind? Auf mich macht Brigitte Dahl jedenfalls nicht den Eindruck, als habe sie Angst vor ihrem Mann.“
„Leider wissen wir fast alles, was wir wissen, nur von Lilli selbst“, murrte Verhoeven.
„Und die war damals eigentlich noch zu klein, um das Ganze bewusst mitzukriegen.“ Winnie starrte auf die klebrige Plastiktischdecke hinunter. „Über diese Pillensache zum Beispiel wusste sie ja offenbar auch nur das, was man ihr hinterher erzählt hat.“
„Stimmt.“ Ihr Vorgesetzter nickte. „Und darum sollten wir unbedingt auch noch mit ihrer Schwester sprechen.“
Wozu? , dachte Winnie. Was sollten all diese traurigen alten Geschichten mit Lillis Ermordung zu tun haben? Doch sie sprach ihre Zweifel nicht aus. Genau genommen war sie selbst neugierig auf Lilli Dahls Vergangenheit, auch wenn sie das unbestimmte Gefühl hatte, dass sie im Begriff waren, sich zu verzetteln.
„Wie geht es übrigens Ihren Eltern?“
Die Frage traf sie vollkommen unvorbereitet. Irgendwo in ihrem Nacken knackte ein Wirbel, als sie den Kopf hob, um Verhoeven in die Augen zu sehen. „Meinen Eltern?“
Die feinen Muskeln in seinem Gesicht verhärteten sich unter ihrem Blick. Vielleicht bereute er bereits, dass er überhaupt gefragt hatte. „Ich meine, wie gehen sie mit Ellis Tod um?“ Er zögerte einen Augenblick. „Ich stelle es mir nicht leicht vor, nach einer so langen Zeit zwischen Hoffen und Bangen …“ Er unterbrach sich erneut, und Winnie begriff, dass er eigentlich gar nicht über ihre Eltern sprechen wollte, sondern über sie.
Die Empörung über diese ebenso plumpe wie unverhoffte Verletzung ihrer Intimsphäre jagte eine Welle von Adrenalin durch ihren Körper. Was hat es ihn zu interessieren, wie es dir geht?, pochte es hinter ihren Schläfen. Was geht es ihn an, wie du damit fertig wirst?
Ich stelle es mir nicht leicht vor, nach einer so langen Zeit zwischen Hoffen und Bangen …
Ihre Kehle zog sich zusammen und eine elementare Wut brach sich Bahn. Was wusste denn ausgerechnet Verhoeven von Hoffen und Bangen? Er mit seiner
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