Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
Konzentration tiefe Falten in ihre angespannten Gesichter gräbt. Unter ihren Mützen perlt der Schweiß, und von Zeit zu Zeit wischt sich einer von ihnen flüchtig mit dem Hemdsärmel über die Stirn. Meter für Meter arbeiten sie sich durch das Unterholz, durch hohes, ausgedörrtes Gras und Senken, an deren Rändern Walderdbeeren ihre winzigen roten Früchte in das spärliche Licht über der uralten Laubschicht recken. Die Blicke der Männer schweifen über die dunkle, moosige Erde, bis die Stille ringsum urplötzlich vom aufgeregten Kläffen der Suchhunde durchbrochen wird. Wie auf ein geheimes Kommando hin, bleiben die Männer stehen und heben die Köpfe. Sie wissen genau, was das Kläffen bedeutet.
Ja, dachte Winnie, erschüttert über die realistische Schärfe ihrer eigenen Gedanken. Die Hunde kläffen, weil sie eine Sandalette gefunden haben. Edda Benders Sandalette. Aber sie finden sie einen Tag zu spät. Oder nicht? Sie runzelte die Stirn, als eine vage Erinnerung durch ihr Bewusstsein zuckte. Etwas, das sie in den penibel geführten Protokollen gelesen hatte und das nicht ins Bild passte. Ein Widerspruch. Die Suchtrupps haben das besagte Waldstück doch schon am ersten Tag mit den Hundestaffeln durchkämmt, dachte sie. Aber da haben sie die Sandalette nicht gefunden. Warum eigentlich nicht?
Sie zuckte zusammen, als ihr bewusst wurde, dass Brüning sie die ganze Zeit mit aufmerksamem Blick gemustert hatte. „Ist was?“, fragte sie aggressiv.
Er lachte und sah wieder Verhoeven an. „Ihr denkt, dass diese Socke eine Bedeutung hat, nicht wahr?“
„Ich finde es zumindest bemerkenswert , dass jemand, der keine Kinder hat, eine Kindersocke besitzt“, antwortete Winnie, bevor ihr Vorgesetzter auch nur Luft geholt hatte.
„Ach Gott , Kindchen, Sie ahnen gar nicht, was es alles gibt.“
Oh doch, dachte Winnie. Davon verstehe ich mehr, als du glaubst! Dennoch registrierte sie mit einem gewissen Triumphgefühl, dass Brüning sie auf einmal siezte.
„Wenn Sie erst mal so lange dabei sind wie ich, wundern Sie sich über gar nichts mehr“, sagte er jetzt.
„Ich hoffe doch“, gab sie zurück.
Brünings Leute registrierten die Verschärfung mit einer Mischung aus Kopf-Einziehen und gespannter Neugier.
Doch Verhoeven schien entschlossen, jede Art von Auseinandersetzung im Keim zu ersticken. Er sah auf die Uhr, die Viertel nach eins zeigte. „Tut uns leid“, sagte er. „Aber ich fürchte, es wird höchste Zeit für uns.“
Falls Brüning enttäuscht war, ließ er es sich zumindest nicht anmerken. „Lasst euch nicht aufhalten“, sagte er und griff wieder nach seiner Zigarette.
„Viel Glück bei euren Ermittlungen“, antwortete Verhoeven.
„ Wenn du mich fragst“, entgegnete Brüning fatalistisch, „ist Glück alles, worauf wir hoffen können.“
5
Yvonne Paland wohnte nicht weit vom Haus ihrer Eltern entfernt in einer geräumigen Erdgeschosswohnung. Eine unscheinbare, leicht übergewichtige Frau mit schlaffer Haut und weinerlichen Augen, die unter niedrigen, rotblonden Brauen saßen.
„Ist etwas … Stimmt etwas nicht?“, fragte sie nervös, nachdem sie einen flüchtigen Blick auf Winnie Hellers Dienstausweis geworfen hatte.
„ Nein, keine Sorge“, beeilte sich Verhoeven, sie zu beruhigen. „Es gibt einfach noch ein paar Dinge über die wir mir Ihnen sprechen möchten.“
Lilli Dahls Schwester nickte und führte ihre Besucher in eine gemütliche Wohnküche. „Ist nicht sehr stilvoll, aber das hier ist der schattigste Raum um diese Uhrzeit“, erklärte sie mit einer entschuldigenden Geste. „Nehmen Sie die Bank?“
„Gerne“, sagte Verhoeven und setzte sich neben seine Kollegin auf eine rustikale Eckbank, auf deren Sitzfläche mehrere dicke Kissen lagen.
„Etwas zu trinken?“
Sein Blick streifte das halbleere Whiskeyglas auf dem Küchentisch. Es ist noch nicht mal zwei Uhr nachmittags, dachte er. Oder macht sie das immer so?
„Wie wäre es mit einem Glas Mineralwasser bei dieser Gluthitze?“, fragte Yvonne Paland in diesem Augenblick, als habe sie seine Gedanken erraten. Und falls sie tatsächlich getrunken hatte, merkte man es ihr zumindest nicht an. „Ich könnte Ihnen natürlich auch einen Kaffee kochen.“ Sie sah ihn fragend an, doch Verhoeven schüttelte den Kopf.
„Wasser wäre wunderbar“, sagte er, während er im Stillen nach einer wie auch immer gearteten Ähnlichkeit zwischen Yvonne Paland und der Toten aus dem Weiherhaus suchte. Doch
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