Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
hatte darauf bestanden, dass sie sich wie ein Junge kleidete …
„Und warum lässt du sie nicht herein?“
Brigitte Dahl zögerte. „Ich dachte…“
„Blödsinn“, fauchte ihr Mann und humpelte zurück in ein enges Wohnzimmer, dessen Rollläden bis auf einen kleinen Spalt heruntergelassen waren. Die Einrichtung war derart wuchtig und deutsch, dass man kaum Luft bekam . Aber die Möbel wirkten abgestoßen und starrten vor Staub. Im Fernsehen lief eine alte Folge von Unsere kleine Farm.
Beim Eintreten erkannte Winnie Michael Landon, der mit seiner Filmtochter in Olesons Laden stand und mit Katherine McGregor diskutierte.
„Na, los doch“, knurrte Dahl. „Setzen Sie sich.“
Sie zogen sich zwei Stühle vom Esstisch heran, während der Hausherr in einem ausladenden Sessel Platz nahm. Er schien überhaupt nicht daran zu denken, den Fernseher auszuschalten, sondern drehte lediglich den Ton leiser.
„Wie ist meine Tochter gestorben?“, kam er ohne Umschweife zur Sache. Sein Körper roch ranzig, so als habe er sich seit Wochen nicht gewaschen.
„Sie ist ertrunken“, antwortete Verhoeven.
„Im Nöckweiher ertränkt“, resümierte Dahl kopfschüttelnd. „Was für ein Ende!“ Dann kicherte er plötzlich, laut und heiser. „Ich bin hier aufgewachsen, wissen Sie, und ich kann mich noch genau erinnern, was wir uns als Kinder für Geschichten erzählt haben, von dem bösen Wassermann, der dort haust und der jeden, der es wagt, in seinem See zu baden, zu sich in die Tiefe zieht.“ Das Kichern ging in einen qualvollen Husten über, und Dahls Gesicht färbte sich tiefrot vor Anstrengung, während er mühsam um Atem rang. „Kommt er vor Gericht?“, keuchte er, als der Anfall vorüber war.
Verhoeven schüttelte den Kopf. „Zum einen steht noch nicht zweifelsfrei fest, dass Herr Fennrich …“
„Natürlich ist er’s gewesen“, fiel Dahl ihm sofort wieder ins Wort. „Ich hab diesem Kerl nie getraut, seit er hier aufgetaucht ist nicht. Und außerdem hätte meine Tochter niemals selbst Hand an sich gelegt. Dazu war sie ganz und gar nicht der Typ.“ Jetzt lachte er wieder. Als die beiden Kommissare nicht einstimmten, hielt er inne und blickte sich nach seiner Frau um, die eben im Begriff war, sich mit zittrigen Fingern eine Zigarette anzustecken. Etwas, das Winnie angesichts des gerade erst überstandenen Asthmaanfalls ihres Ehemannes irgendwie befremdlich fand. „Was stehst du da rum? Setz dich zu uns!“
Brigitte Dahl gehorchte wie ein folgsames Kind und nahm auf einem Sessel vor dem Fernseher Platz. Es schienen uralte, eingefahrene Abläufe zu sein, die das Zusammenleben der Eheleute bestimmten, und Winnie begann sich zu fragen, ob Lilli Dahls Mutter geistig voll auf der Höhe war.
„Also was ist nun mit Fennrich?“, bohrte Dahl. „Wird er angeklagt?“
„Wahrscheinlich“, entgegnete Verhoeven ausweichend.
„Gut. Dieser Kerl gehörte nämlich schon ins Gefängnis, als an Sie beide …“, seine geschwollene Hand wedelte zwischen Verhoeven und Winnie hin und her, „… noch gar nicht zu denken war.“
Verhoeven beugte sich ein Stück vor, damit Dahl nicht umhin konnte, ihm in die Augen zu sehen. „Sie waren also nicht damit einverstanden, dass Ihre Tochter und Jasper Fennrich heirateten?“, fragte er.
Winnie beobachtete Dahls Reaktion genau, doch die Aufmerksamkeit, die für einen kurzen Augenblick in den trüben Augen aufgeflackert war, schien bereits wieder erloschen zu sein.
„Sie hat mich nicht nach meiner Meinung gefragt“, brummte er.
„Haben Sie deshalb jeden Kontakt zu Ihrer Tochter abgebrochen?“
Er antwortete nicht, sondern zog ein fleckiges Stofftaschentuch unter einem der Kissen hervor und schnäuzte hinein.
Winnie betrachtete den Kranz aus körnigem, ungesundem Fett unter seinem Kinn und versuchte sich ins Gedächtnis zu rufen, was Lilli über ihn geschrieben hatte. Nicht viel, soweit sie sich erinnerte. Nur, dass er mit ihr für ein Diktat oder einen Aufsatz geübt hatte. Scheint fast, als hätte er keine große Rolle im Leben seiner Tochter gespielt, dachte sie. Aber da waren auch die Röcke, die Lilli nie hatte tragen dürfen…
„Wann haben Sie Ihre Tochter zum letzten Mal gesehen?“ , fragte Verhoeven, dem die Stille offenbar zu lange dauerte.
Dahl sah ihn an, als habe er den Verstand verloren.
„Das ist wichtig“, legte Verhoeven nach.
Er knurrte. „Lilli hat bis zum Frühsommer 1977 hier bei uns gewohnt“, sagte er schließlich mit spürbarem
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