Die Jahre mit Laura Diaz
zerfaserte Fleisch mit Koriander oder in dunkle, scharf gewürzte Soßen getunkt, die Süßspeisen nach Klosterart und der mondäne, geruhsame Kaffee, der Hitze und Schlaflosigkeit kannte, der Freund der Siesta und des Mondscheins.
Den konnte man jederzeit im berühmten Café de la Parroquia trinken, wo ein Schwärm von Kellnern mit weißer Schürze und Fliege im Stimmengewirr der Gäste umherliefen, geröstete Butterschnitten mit Rührei servierten und – wie schlecht entlohnte Zauberer eines immerwährenden Karnevals – Kaffee und Milch mischten, die sie in verblüffender Gleichzeitigkeit aus akrobatischer Höhe in Gläser gössen. Über allem thronte die aus –Deutschland importierte große Kaffeemaschine, die wie eine silberglänzende Königin die Mitte und den Hintergrund des Cafés einnahm und mit Ventilen und Hähnen, Schaum, Dunstschwaden und Fabrikstempeln geschmückt war. »Lebrecht und Justus Krüger, Lübeck 1887.«
Aus Europa kamen auch die Illustrierten und Romane, die Lauras Vater Fernando Dïaz allmonatlich ungeduldig erwartete, wenn der Postdampfer aus Southampton und Le Havre in den Hafen einlief. Es sah aus, als wollte er nur dem Rechnungsprüfer eine Freude machen, der am Kai auf ihn wartete, den Strohhut sorgfältig aufgesetzt, um sich vor einer Sonne zu schützen, die schwer wie ein nasses Leintuch drückte. Der Stock mit Elfenbeinknauf. Der komplette dreiteilige Anzug, der in Catemaco solches Aufsehen erregt hatte, als Leticia von Fernando umworben und erobert wurde. Er hielt die Hand seiner zwölfjährigen
Tochter Laura.
»Die Zeitschriften, Papa, zuerst die Zeitschriften.«
»Nein. Zuerst die Bücher für deinen Bruder. Gib ihm Bescheid, daß sie hier sind.«
»Ich bringe sie ihm lieber gleich in sein Zimmer.«
»Wie du möchtest.«
»Ist es gut, daß ein zwölfjähriges Mädchen das Schlafzimmer eines Jungen betritt, der älter als zwanzig ist?« fragte Leticia, ohne die Stimme zu heben, sobald Laura, immer noch hüpfend, das Wohnzimmer verließ.
»Wichtig ist, daß sie einander liebhaben und vertrauen«, antwortete ruhig ihr Mann.
Leticia zuckte die Achseln und errötete. Sie mußte an die Moralpredigten des Flüchtlings, des zynischen Paters Elzevir Almonte, denken, betrachtete dann aber gleich voller Stolz das Wohnzimmer ihres neuen Zuhauses, die obere Etage der Banco de la Repûblica, die ihr Mann seit einem knappen Monat leitete.
»Er hat sein Wort gehalten. Durch seinen Fleiß ist er, wie er es versprochen hat, vom Kassierer zum Buchhalter und endlich zum Bankdirektor aufgestiegen.« Dafür hatte er, wie er Leticia sagte, elf Jahre seines Ehelebens geopfert, auf Laura verzichtet und in einem Haushalt ohne Ordnung gelebt, so man das denn einen Haushalt nennen durfte, bestand er doch allein aus ihm selbst und Santiago, dem Sohn aus Fernandos erster Ehe mit der verstorbenen Elisa Obregôn – zwei Männern, die, so gut man sich auch um sie kümmerte, die brennende Zigarre hier, einen Zigarrenstummel da, ein aufgeschlagenes Buch im Bett, eine Socke darunter und schließlich die Lagerstatt selbst allzu viele Stunden lang ungemacht zurückließen.
Santiago lag auf seinem Bett in der neuen, gemütlichen, beinahe luxuriösen Wohnung. Sein langes Nachthemd mit der volantbesetzten Brust sah aus wie ein Taubennest. Er drückte die Beine zusammen, als seine Halbschwester Laura hereinkam, den Bücherstapel wie eine schwankende Säule auf den Armen, ein kleiner Turm von Pisa, den Santiago schnell festhielt, bevor Anatole France und Paul Bourget mit ihren Werken auf dem Boden landeten.
Sobald die beiden sich kennengelernt hatten, »harmonierten« sie, wie man damals sagte. Obwohl es unvermeidlich gewesen war, daß sie sich begegneten, hatten Leticia und Fernando, jeder für sich, gewisse Befürchtungen gehegt. Anfangs hüteten sie sich, diese einander anzuvertrauen. Die Mutter fürchtete, daß ein Mädchen im frühesten Jugendalter wie Laura ungebührlichen Einflüssen ausgesetzt sein würde, Berührungen, ungewollten zwar, aber doch unvermeidlichen, wenn ein junger, neun Jahre älterer Mann in der Nähe war. Der Bruder des Mädchens, ja, aber doch ein Unbekannter, etwas Neues. Reichte nicht schon der so oft hinausgeschobene Wechsel vom Landleben und Patriarchat Don Felipe Kelsens, mit der verstümmelten Großmutter und den vier arbeitsamen Schwestern in dieses neue, ungewohnte, von der Mama getrennte Leben? Die Mutter schlief jetzt nicht mehr im selben Zimmer wie das Mädchen,
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