Die jungen Rebellen
waren von nun an zusammen, alle vier, die vor einer Woche noch kaum ein Wort miteinander gewechselt hatten. Béla, auf den sie bisher ein bißchen von oben herabgeschaut hatten, gesellte sich eilig zu ihnen, um ja nicht zu spät zu kommen. Als sie aber alle vier beieinander standen, in einer Ecke des Korridors über etwas sprachen, da nahm Ernő seine Brille ab, und sie verstummten. Tibor stand in der Mitte. Sagte etwas, aber die Worte blieben ihm im Hals stecken. Alle drei schauten auf Ernő. Sie schwiegen, dann schlich jeder an seinen Platz im Klassenzimmer zurück.
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Sie stehen vor der Drehtür des Kaffeehauses. Einen Augenblick lang hält Ábel noch die Hand des Schauspielers. Die römischen Kaiser waren absolute Herrscher. Amadé hat etwas von Nero. Klar, auch Nero war ein Schauspieler. Übrigens bist du der erste Erwachsene, zu dem ich du sagen, den ich duzen kann, von gleich zu gleich. Er sagt, er sei auch schon in Barcelona gewesen. Mag sein, daß er lügt. Man müßte der Sache nachgehen, sollte es überprüfen. Vater sitzt jetzt beim Abendessen. Vielleicht hat er am Nachmittag sogar vier ebenso dicke Beine amputiert wie die des Schauspielers. Da ist Lajos, auch ihm wurde ein Arm abgetrennt. Heute hat sich Amadé eine hellbraune Krawatte umgebunden, das ist schon die vierte, die ich an ihm sehe. Hier kommt Herr Kikinday, den der Mandarin zum Tode verurteilt hat. Er trägt eine dunkelblaue Krawatte mit weißen Tupfen. Gelbe Seide mit grünen Streifen. Weiße Seide mit großen blauen Tupfen. Etelka hat eine Bluse, weiße Seide mit großen blauen Tupfen. Doch sie zieht sie nicht mehr an, vor einem Jahr hat sie sie noch getragen. Amadé riecht wieder nach Zimt. Mit der Kleinen des Hausmeisters habe ich im Garten gespielt, und wir gingen in den Schuppen, spielten, daß ich sie strafen mußte, und sie legte sich auf den Bauch, ich schlug ihr das Röckchen hoch und klatschte mit der Hand fest auf ihren Po, bis er rot anlief. Etelka kam dazu, sah uns und schlug mich. Ich war vier Jahre alt. Das Mädchen drei. Etelka war vierzig. Sie vergaß, ihren Wäscheschrank zu schließen, und ich zog einen Lappen heraus, spielte damit, band ihn mir vor die Stirn wie das Zimmermädchen ihr Kopftuch. Etelka wurde rot, als sie mich sah, riß mir den Lappen weg und schlug mir auf die Hand. Heute weiß ich, daß der Lappen, mit dem sie wegrannte, ihr Busenhalter war, frisch aus der Wäscherei. Ich war vier Jahre alt. Woher weiß ich heute, daß ich damals mit dem Busenhalter der Tante gespielt habe? Keiner hat es mir gesagt. Und was war so empörend daran, daß die Tante einen Busen hat, der gehalten werden muß? Amadé hat heute seine schönere Perücke aufgesetzt. Wie warm sich seine Hand anfühlt! Sie ist so weich, daß mein Zeigefinger ganz in dem Pölsterchen unterhalb seines Zeigefingers versinkt. Amadés Perücke sitzt gut. Als ich die Haare der Tante im Schrank hinter den Büchern entdeckte, dachte ich, jetzt kann ich sie endlich entlarven. Die Tante trug zwar keine Perücke, doch sie verwendete Haarteile. Ich fand zwei dicke, glänzende Zöpfe. Heute abend erzähle ich es vielleicht Tibor. Oder Amadé. Vielleicht auch keinem von beiden, nur Ernő. Würde ich es Amadé sagen, könnte er antworten: »Röllchen, Knöpfchen kugelrund, da staune ich mit offnem Mund.« Und wie immer würde er den Mund öffnen und die fleischige Zunge durch die dicken Lippen schieben. Jetzt lacht er, ich sehe seinen Goldzahn. Der Schauspieler läßt seine Hand los. Sie bewegen die Drehtür.
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Die Tür dreht sich und nimmt sie mit, hinein ins Kaffeehaus. Dies ist die Tageszeit, da sich in den Kaffeehäusern der Landstädte nur Menschen von zweifelhaftem Ruf aufhalten. Einzig hinten in den separierten Spielzimmern regt sich etwas Leben. In einem Raum befinden sich zwei Agenten und der Redakteur des Lokalblattes, ein untersetzter Mann, der sein Haar sorgfältig zu einem Mittelscheitel frisiert und sich peinlich vornehm kleidet. Vis àvis von der Tür sitzt Havas, die Karten in der Hand, mit funkelnden Schweißperlen auf dem kahlrasierten Schädel. Von Zeit zu Zeit greift er in seine Rocktasche und wischt sich mit einem roten Tuch den Schweiß von der Stirn. Als sie an ihm vorbeikommen, sagt der ehemalige Mühlendirektor und jetzige Besitzer der Pfandleihanstalt »eine Terz« und »Kassa« an. Der Schauspieler und Ábel bleiben stehen und grüßen. Havas macht eine Bewegung, als wolle er sich von seinem Tisch erheben, doch der
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