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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Dach. Ábel fröstelt. Erst jetzt fällt ihm ein, daß er sich seit vierundzwanzig Stunden nicht richtig gewaschen, keine Wäsche gewechselt und auch nichts Warmes mehr gegessen hat. Zähneklappernd sitzt er in der Chaise. Der Wagen holpert über das schlechte Pflaster, bei manchem Stoßmacht Ábel die Augen auf und sieht ein Stück Hauswand, einen Steinhaufen, den Stamm einer Pappel oder einen Zaun. Ihm ist, als sei dies die längste Fahrt seines Lebens.
    Sie kommen an der Steinmauer der Besserungsanstalt vorbei, als er Tibors Hand auf seiner spürt. »Ábel«, sagt der Sohn des Obersten Prockauer heiser. »Was ist das?
    Was für ein Traum?« Die Räder dröhnen. Ábel möchte antworten, doch ihm fehlt die Kraft, das Geräusch des Wagens zu übertönen. Er hebt mit schwacher Bewegung die Hand, deutet an, daß er etwas sagen möchte, doch kein Laut dringt aus seinem Mund.
    »Glaubst du das?« fragt Tibor.
    Mit einer Mundbewegung fragt er zurück: »Was?« Er friert und zittert, zugleich überkommt ihn eine Hitzewelle, seine Zähne schlagen aufeinander, er fühlt sich fiebrig.
    »Was er über Ernő gesagt hat. Und über uns. Stimmt das?«
    Er kann nicht antworten, schließt die Augen.
    Sie lassen den Wagen noch vor dem Arabesque halten, überqueren zu Fußdie aufgeweichten Felder. Überall vom Gewitter verwüstete Obstbäume. In den gepflügten Furchen glitzert noch hier und da der Hagel. Verdreckt und schwankend durchwaten sie die Felder, hinter dem Zaun durch einen Hintereingang schleichen sie auf den Halbstock hinauf in ihr Zimmer.
    Es ist noch in dem Zustand, in dem Ábel es am Morgen verlassen hat. Er geht mit unsicheren Schritten zum Fenster, zieht leise die Läden zu und fällt aufs Bett. Tibor setzt sich an den Tisch. Der Garten ist leer, die Lampions, farbige Papierfetzen, hängen verendet, triefnaß an den Drähten, umgekippte Tische, vom Fichtenwald zieht Nebel herab. Aber von unten, aus dem Saal, dringen Lärm, Stimmengewirr, Gläserklirren durch den Holzboden herauf. Offensichtlich sind die Teilnehmer des Maifestes schon da und wegen des Gewitters in den Speisesaal ausgewichen. Es dämmert. Tibor sieht auf seine Armbanduhr, halb sieben. Sie haben mehr als vier Stunden bei Havas gesessen.
    »Jetzt antwortest du mir, Ábel«, sagt Tibor, stützt sich auf die Knie und beugt sich vor: »Was hast du von der ganzen Sache gewußt? Was ist da vorgefallen? Wußtest du, daß Havas und der Schauspieler und Ernő? …«
    Ábel vernimmt die Frage mit geschlossenen Augen von ganz weit weg, setzt sich mit großer Anstrengung auf, seine Hand tastet sich zum Nachtschränkchen, er zündet den Kerzenstummel an, der noch vom Abend übriggeblieben ist. Es ist schon dunkel im Zimmer. »Ich wußte gar nichts«, sagt er langsam, mit schwerer Zunge, wie im Halbschlaf. »Was ich wußte, habe ich dir am Vormittag gesagt. Es ist kein Geheimnis dabei. Nichts, was man verschweigen müßte.« Doch er verstummt eine Weile. Unsicherer, lebhafter fährt er fort: »Ist dir nie aufgefallen, daß Ernő immer über etwas anderes geredet hat? Es ist schwer zu erklären. Wenn ich gesagt habe: >Abend< oder >Feder< oder >Mensch<, und er sagte: >Abend< oder >Mensch<, so war das nicht das gleiche. Ich empfinde das oft, wenn ich mit Fremden zusammen bin. Bei dir war es nie so, auch dann nicht, wenn du nicht verstanden hast, was ich meinte. Bei Ernő immer. Irgend etwas hat ihn von uns getrennt.«
    Der Sohn des Obersten greift nach der Tabaksdose, die auf dem Tisch liegt, mit nervösen Fingern dreht er sich eine Zigarette, beugt sich zur Kerze hin und zündet sie an der Flamme an. »Du wußtest es also nicht?« fragt er trocken.
    »Ich wußte es nicht.«
    »Und was du mir am Vormittag gesagt hast?«
    Ábel stützt sich auf die Ellbogen und sagt jetzt befreit und locker, mit einem eigentümlichen Frohsinn: »Daß ich dich gern habe? Aber ich hab dich doch wirklich gern.
    Warte, Tibor. Jetzt fange ich an zu begreifen. Ich mag dich, es tut mir wohl, dich anzusehen, wir haben Geheimnisse, und wir haben einander so gut wie alles erzählt, was man sich erzählen kann. Ich wenigstens, alles … Ich habe niemanden. Das Personal, die Tante, die Arme, und von Vater weißt du, wer er ist. Vielleicht kann er, wenn ich einmal alles vergessen habe, was war, mein Freund sein. Ich weiß es nicht. Warte, vielleicht kann ich es dir jetzt erklären. Ich war auch eifersüchtig deinetwegen, wollte, daß du nur mein Freund bist, wollte dich fernhalten von Ernő und Béla

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