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Die Känguru-Offenbarung (German Edition)

Die Känguru-Offenbarung (German Edition)

Titel: Die Känguru-Offenbarung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Uwe Kling
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Kuvert, juchzt und ruft: » Louie, der lustige Leguan von den Kindern der Kindertagesstätte Sümpfe der Traurigkeit !«
    »Ich fasse es nicht«, sage ich.
    Auf der Tribüne hinter uns jubeln Kinder. Die Gäste der Preisgala beginnen zu applaudieren.
    »Du hättest den Preis beim ersten Mal nicht ablehnen sollen«, sagt das Känguru. Es sitzt links neben mir, in einem rosa Tutu, und liest völlig gelangweilt Wendy . Auf dem Kopf hat es eine Krone, ein Zauberstab liegt auf dem Tisch. Mein Agent, der rechts neben mir sitzt, kratzt sich ratlos am Kopf.
    »Das scheint auch mir eine inhaltlich wirklich angreifbare Entscheidung«, sagt er und nimmt sich ein Sahnetörtchen vom Tablett mit Desserts, welches das Känguru irgendeinem Kellner abgenommen hat.
    »Kommt auf die Bühne, Kinder«, ruft die Moderatorin. Unter lautem Geschrei stürmt eine Gruppe Fünfjähriger mit ihrer Erzieherin die Bühne. Fast alle Anwesenden erheben sich und spenden stehend Applaus.
    »Ich werde gerade unfassbar attraktiv«, sage ich.
    »Und wie Sie ja alle wissen, ist der Preis dieses Jahr zum ersten Mal dotiert«, sagt die Moderatorin. »Tante Isabel, was werden Sie denn mit den 10.000 Euro machen?«
    »Damit können wir endlich das Dach unserer Kita reparieren lassen, damit die Kinder bei Regen nicht mehr nass werden«, sagt Tante Isabel.
    »Das ist doch wirklich ein Skandal!«, rufe ich. Ein paar Leute drehen sich zu uns um, die große Menge hat aber nichts gehört, denn ihr Applaus hat mein Rufen verschluckt.
    »Du hast ja recht …«, beschwichtigt mein Agent, »aber bitte etwas leiser. Die hatten halt einen Bonus, weil sie noch so klein sind.«
    »Ach was …«, fauche ich. »Aber kuck dir die Bilder mal an! Da hat doch garantiert ein Erwachsener geholfen.«
    »Ja, das ist wirklich gemein«, sagt das Känguru. »Wenn dir ein Erwachsener geholfen hätte, wäre dein Buch bestimmt auch besser geworden.«
    »Nicht aufregen«, sagt mein Agent. »Probier lieber mal eins von diesen leckeren Sahnetörtchen.«
    »Louie, der lustige Leguan, spricht ganze fünf Sätze«, sage ich eingeschnappt. »In diesem ganzen sogenannten >:< Buch >:    Ich setze mit Zeige- und Ringfingern wütende Anführungszeichen um das Wort Buch.
    »Du kennst das Buch?«, fragt das Känguru.
    »Ich habe alle nominierten Bücher gelesen«, sage ich. »Alle beide …«
    Endlich verebbt der Applaus.
    »Ahamuhmuh«, sagt Julia Müller. »Und wie geht es nun weiter für euch Kinder?«
    Ein kleines Mädchen tritt ans Mikrofon.
    »Wir schreiben eine Fortsetzung, wo Louie in die Schule kommt. Damit wollen wir genug Geld verdienen, um das Abzest …«
    »Asbest«, sagt Tante Isabel.
    »… Asbest aus der Kita wegzumachen«, sagt das Mädchen.
    Wieder stehen die Leute auf und klatschen.
    »Buh!«, rufe ich. »Buh!«
    »Bitte beruhige dich doch!«, sagt mein Agent.
    »›Louie läuft lässig‹«, zische ich. »›Louie lacht lustig. Louie lebt locker. Louie liebt liegen. Louie lutscht Lutscher.‹ Das ist alles, was der bekackte Leguan sagt. Das ist der komplette Text von dem bekackten Buch.«
    Die Kinder verlassen unter erneutem Applaus die Bühne.
    »Und dabei stellt sich noch die Frage, warum der bekackte Lemur …«
    »Leguan«, sagt mein Agent.
    »… das überhaupt alles sagt. Und zu wem! Der ist allein auf den Bildern. Der spricht mit sich selbst, oder was? Der hat doch ’ne Macke! Und so was gibt man Kindern zum Lesen? Kein Wunder, dass unsere Gesellschaft so kaputt ist. Ich fasse es nicht.«
    Der Applaus brandet noch mal auf, als Tante Isabel und ihre Kinder Kusshände in den Saal werfen.
    »Ich habe ein Manifest verfasst, voller Witz und Weisheit«, schimpfe ich innerlich brodelnd. »Einen Fels in der Brandung stumpfer Pipi-Kaka-Witze, eine Rettungsboje für alle, die etwas faul dünkt an dieser widerwärtigen Weltordnung, ein Buch voll Tucholsky’schem Witz, voll Orwell’scher Weitsicht, voll Beckett’scher Radikalität …«
    »Voll Goethe’scher Bescheidenheit«, wirft das Känguru ein.
    »… eine große Satire über ein idealistisches, wenn auch leider wahnsinniges Känguru und seinen flexiblen, belastbaren, innovativen, kreativen, teamfähigen, begeisterungsfähigen und kreativen Begleiter …«
    »So beruhige dich doch«, sagt mein Agent eindringlich. »Bitte, bitte. Die Leute kucken schon.«
    »LASS SIE DOCH KUCKEN!«, brülle ich. »ICH BIN KÜNSTLER! DIE LEUTE SOLLEN MIR ZUKUCKEN! ICH BIN KÜNSTLER!«
    »Kleinkünstler«, sagt das Känguru.
    »NEIN! NEIN!

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