Die kalte Koenigin
Volk fruchtbar wäre, obwohl wir die fleischlichen Freuden voll miteinander auskosten konnten. Wieder andere hielten Speere und Bogen in den Händen, und auf ihren Köpfen waren lange blaue und rote Federn zu erkennen, die in einer Art Helm steckten. Die meisten von ihnen waren unbekleidet, aber einige trugen Kniehosen, andere Lendenschurze, während wieder andere mit Kitteln und Umhang voll bekleidet waren, wenn auch mit Farben und Materialien, die ich nie zuvor gesehen hatte. Einige besaßen eine dunkle Haut, andere aber waren so bleich wie der Schnee im Winter.
Gewölbte Torbögen führten in Korridore, die komplett aus schwarzem Stein zu bestehen schienen. Dort erblickte ich die Schatten weiterer Vampyre und nahm an, dass beinahe hundert von uns hier versammelt sein mussten. Doch bei ihnen befanden sich große sterbliche Männer, die mit den zeremoniellen Gewändem von Priestem bekleidet waren. Bei ihnen handelte es sich wohl eher um die Diener dieser Vampyre als
um Priester des Stammes. Sie saßen in der Dunkelheit, als beteten sie. Ohne Zweifel hörten sie das Rascheln der Bewegungen und unsere Stimmen, sahen uns aber nicht um sie herum.
Mein Gastgeber flog ohne Flügel zu einem Thron, der sich mehrere Stufen über dem Boden erhob. Es schien, als hätte er von seiner Position neben mir einen großen Satz gemacht und wäre mit einer Bewegung, die so schnell war, dass sie nur verschwommen zu erkennen war, auf dem Stuhl gelandet, von dem er nun auf mich herabblickte. Er klatschte in die Hände, als ob er jemanden wegschickte oder riefe. Aber niemand rührte sich. Das Klatschen war für mich bestimmt, als Zeichen, mich ihm zu nähern. Er nahm die Pose eines spitzbübischen Prinzen ein – seine Beine waren gebeugt und seine Fersen angehoben, während er seine Zehen gegen den Stein presste, als wäre er ruhelos und könnte jeden Moment abfliegen.
Dieser Vampyr war eines der faszinierendsten Wesen unseres Volkes, das ich je gesehen hatte. Er verfügte über mehr als die übliche Schönheit unserer Rasse – sein Gesicht war so dunkel wie die Abenddämmerung, jedoch strahlend, und seine Augen wirkten, als leuchtete in ihnen das Licht des Mondes. Darin lag Geist, und dennoch war auch Freude am Spiel und Kindlichkeit zu erkennen. Sein dichtes Haar, das nach europäischen Maßstäben zu lang war, wirkte beinahe feminin, wie es ihm da über die Schultern fiel. Die Juwelen und das Gold, die durch seine Haut gebohrt waren, glänzten ebenso wie der Schmuck aus Jade, Rubinen und Perlen, der in seinem Fleisch steckte. Und dennoch besaß er die bedrohliche Ausstrahlung eines Sarazenen – als wäre er jederzeit zum Kampf bereit.
Er lehnte sich zurück, gegen den mit gemeißelten Jaguaren verzierten Thron, und rief in der Landessprache denen, die
um uns versammelt waren, Worte zu, als ich auf ihn zuschritt. Hinter dem Thron erblickte ich mehrere Statuen von Göttern, mit den Köpfen von Tieren, Vögeln und Schlangen, während ihre Leiber die von Menschen waren. »Mein Bruder Aquil und seine Armeen aus dem Süden begehren gegen uns auf, und die kriegführenden Stämme an der Küste brennen die Dörfer der Sterblichen nieder, die mit uns Handel treiben«, sagte er. »Mein Bruder Kulcan bringt sein Volk im Norden zu den Grenzen dieses Landes, und mein Volk wird niedergemetzelt. Meine Enkelin Pacala erbaut ihre Stadt im Dschungel. So kann sie, wenn mich meine Brüder vernichtet haben, mit ihrer Armee aus Sterblichen in ihre Länder einfallen, um ihre Reichtümer zu stehlen. Zwischen uns gibt es keinen Frieden, und das bereits, seit wir den Großen Übergang durch den Schleier zum ersten Mal gespürt haben. Das Fleisch meiner Kinder wurde zerfetzt. Die Sterblichen denken, wir hätten sie verlassen. Es ist eine Zeit der Unruhe. Du kommst als Feind zu uns?«
»Nein«, antwortete ich. Doch als ich sah, wie die Versammlung der Vampyre vorrückte und einen Halbkreis formte, damit ich nicht durch die große Eingangstür, die zur Terrasse dieses Palastes führte, entfliehen konnte, packte mich die Furcht.
»Du kommst in einer Notlage zu uns. Du bist auf der Suche. Dennoch, wir haben Feinde, die herkommen, um unsere Stadt und diejenigen, die in ihr leben, in Brand zu stecken. Sie sind habgierig und verängstigt, da sie die Zeichen am Himmel sehen und das Zerreißen des Schleiers hören. Warum sollten wir dir trauen?«
»Ich verfüge über keine Waffe. Ich besitze auch keine Armee«, entgegnete ich. »Ich bin nur jemand, der das Meer
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