Die kalte Koenigin
Heulen von Wölfen aus ihren Mündern. Sie alle befanden sich nun in einem Zustand der Trance, und alle trugen ekstatische Ausdrücke auf ihren Gesichtern.
Mitten unter ihnen ging Ideyn in die Hocke und atmete den Rauch ein. Der Schädel-Trank lief ihr über die nackten Brüste, während sie an ihrer Kleidung zerrte. Als ihre Schultern erbebten und sie ihre Augen so verdrehte, dass nur noch das Weiße zu sehen war, sprach sie: »Wer ruft mich aus der Umarmung des Todes?«
»Ich komme her, um den Toten Fragen zu stellen«, antwortete der Aschling.
»Kennen wir einander, oder seid Ihr mir fremd?«, fragte der tote Mann durch die Chymer, deren Kiefer schlaff herunterhing.
»Obwohl ich Euch zu Lebzeiten durchaus gesehen habe, waren wir uns fremd. Bei Eurer Hinrichtung sah ich Euch am deutlichsten.«
»Was wollt Ihr von mir wissen?«
»Ich suche den verborgenen Ort, an dem die geflügelten Dämonen lebendig begraben werden«, antwortete der Aschling. »Und ich strebe nach Wissen um sie und um ihre Kräfte.«
»Ich kenne diesen Ort«, sprach der Geist durch Ideyns schlaffen Kiefer, als wäre ihr Körper zu einer widerhallenden Höhle in ihr geworden.
»Sagt mir, wo er liegt, denn vieles hat sich in diesen vergangenen Jahren verändert, und nur die Priester der Schatten
kennen seinen Zugang. Und Ihr kennt ihn ebenfalls, denn einst versuchtet Ihr, sie heraufzuholen«.
»Ich versuchte es und scheiterte daran, und dies war der Beginn meiner Gefangenschaft«, erwiderte der Geist. »Einen dieser Dämonen kannte ich, als er ein Knabe war. Ich fügte ihm schreckliches Unrecht zu, da ich nicht begriff, wie düster die Welt in nur wenigen Jahren werden würde. Wenn ich Euch mitteile, wo dieser Brunnen zu finden ist, der abgedeckt wurde, um ihn vor anderen Menschen zu verbergen, so müsst Ihr mir eines versprechen«, sagte der Geist.
»Ich werde Euch versprechen, was auch immer Ihr verlangt«, antwortete sie und warf einen kurzen Blick zu den Chymers, die sich sämtlich in einer Trance des Vergnügens befanden.
»Ihr lebt nun in einem Reich der Furcht, Tochter der Asche. Sie sind Drachen mit den Gesichtern von Menschen«, sagte der Geist.
»Ich fürchte geflügelte Dämonen nicht«, entgegnete sie, indem sie den Chymerschwestern einen Blick zuwarf. Sie alle summten und wiegten sich, während Aalschwanzrauch aus der weißen Schüssel in der Mitte des niedrigen Tisches wallte, so als wäre er die Gestalt des Geistes selbst.
»Macht Euch nicht so viele Sorgen, meine Kleine, um diese Nekromantinnen, welche mich aus meinem Schlaf riefen. Sie sind Euren Worten gegenüber taub, während sie sich in ihrer Trance befinden. Anderenfalls würden sie Euch gewiss die Kehle aufschlitzen, falls sie wüssten, worum Ihr mich bittet und was ich dafür von Euch erbitte.« Der Geist hielt inne, und für einen Moment hatte ich das Gefühl, als wüsste er, dass ich mich in dem Aschling befand. Es kam mir so vor, als sähe mich dieser Geist durch die Chymer an, und nicht die
zerlumpte junge Frau. »Ihr werdet vielleicht Eure Meinung ändern wollen, bevor ich Euch mitteile, was ich als Bezahlung von Euch verlange. Sagt mir, warum sucht Ihr nach diesen geflügelten Dämonen?«
»Aus Rache«, antwortete sie.
Als sie diesen Satz ausgesprochen hatte, spürte ich, wie etwas kräftig an meinem Körper zerrte, als hätte mich ein großer Krieger mit einem Schlag getroffen und an den Schultern gepackt.
Ich wurde zurückgezogen, aus dem Leib der jungen Frau heraus. Einen kurzen Moment lang schwebte ich noch über ihr.
Ich sah den Geist selbst durch den Kopf, durch den Rachen einer Chymerfrau.
Ich sah ihn, und ich kannte ihn, wenn seine Gestalt auch wie die Farben des Lichtes wirkte, das durch farbiges Glas fiel.
Kenan Sensterre.
Aber ich öffnete die Augen und befand mich nicht länger in der Vision, die mir das zweite Gesicht beschert hatte.
Nicht länger in der Höhle der Chymers.
Stattdessen lag ich mit Ewen auf dem Boden eines tiefen Brunnens, in der Dunkelheit.
Ich schnappte nach Luft, als hätte ich noch nie zuvor eine solche Vision erlebt.
Damals verstand ich die wahre Bedeutung dessen, was ich erlebt hatte, noch nicht. Vor meinem geistigen Auge erlebte ich zahlreiche Visionen aus der Vergangenheit und der Zukunft. Sie alle bildeten einen Strudel von Bildern, von dem Priester des Blutes, von einer goldenen Maske auf dem Gesicht einer nackten Frau, von der Stadt Alkemara in ihrer Herrlichkeit, wie ich sie nie zuvor erlebt hatte. Und
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