Die Kalte Sofie
Borsten abschneiden und analysieren lassen. Versprechen kann ich nichts. Aber wenn wir Glück haben, findet sich da noch Zellmaterial von Schmidts Zahnfleisch. Oder von seiner Mundschleimhaut.«
Sorgfältig packte sie die Bürsten in eine weitere Tüte.
Joe betrachtete Sofie stumm. Dann strich er ihr beinahe zaghaft über den Arm. Ein Schauer lief über ihren Rücken.
»Du, Sofie, ich muss dir was sagen«, druckste er verlegen herum. »Du weißt, dass ich die ganze Sache mit deinem Studium nie so ganz ernst genommen hab. Aber inzwischen kann ich nur sagen: Respekt!« Er senkte den Kopf. »Tut mir leid, dass ich dich damals so im Stich gelassen hab. Ehrlich.«
Sofie schluckte. Was hätte sie vor zwei Jahren für diese Worte gegeben!
Aber – jetzt?
Standen sie beide wirklich hier im übel riechenden Liebesnest eines verschollenen, vermutlich homosexuellen Mannes namens Schmidt und arbeiteten ihre gescheiterte Ehe auf?
Bitte nicht. Nicht hier, und überhaupt.
Sofie räusperte sich und zwang sich zu einem Lächeln.
»Wir haben beide Fehler gemacht. Lassen wir’s dabei. Okay? Und jetzt würde ich sagen: Abflug!«
29
Blut unterm Nagel
W äre es nach ihr gegangen, hätte die Fahrt auf Joes alter BM W 1000 von den Giesinger Genossenschaftsbauten bis zur Rechtsmedizin in der Nußbaumstraße ruhig länger dauern können. Fühlte sich beinahe an wie früher auf der Vespa, wo zwischen Joe und sie kein Blatt Papier mehr gepasst hätte. Alle sommerwarmen Seen und hohen Berge in der Umgebung Münchens hatten sie auf diese Weise gemeinsam erkundet und sogar eine kühne Tour durch die Alpen geplant, zu der es dann allerdings nicht mehr gekommen war.
Ja, achtzehn waren sie beide schon eine ganze Weile nicht mehr. Da, wo früher reine Muskelmasse gewesen war, spürte Sofie eine dezente Speckschicht unter Joes Lederjacke.
Was diesen Hallodri nicht weniger attraktiv machte.
Vermutlich nicht nur in ihren Augen. Oder warum sonst hatte er nach wie vor einen Ersatzhelm griffbereit im Topcase gehabt?
Wollte sie das wirklich wissen?
Unwillkürlich rückte Sofie ein Stück von ihm ab und kämpfte die aufkeimende Eifersucht energisch nieder.
Nicht mehr ihre Baustelle. Gott sei Dank!
Ab jetzt waren sie Kollegen. Vielleicht, mit etwas Glück, sogar Freunde. Und Punkt.
Leider machte die Überquerung des Goetheplatzes all ihre guten Vorsätze mit einem Schlag wieder zunichte.
Als Joe sich schwer in die Kurve legte, blieb Sofie nichts anderes übrig, als sich eng an ihren Ex zu schmiegen. Vergeblich warnte die kühle Stimme in ihrem Kopf sie vor irgendwelchen nostalgischen Gefühlen. Kein Zweifel: Ihr Körper genoss die Vertrautheit und Nähe in vollen Zügen.
Joe schien es nicht anders zu gehen. Eher zögernd brachte er die Maschine in der Nußbaumstraße zum Stehen. Dann stieg er ab und warf Sofie ein ungewohnt scheues Lächeln zu.
»Des sollten wir ganz bald wieder machen«, sagte er leise, während er seinen Helm absetzte. »Was moanst, Sofie?«
Das »Spatzl« sparte er sich klugerweise, obwohl sie darauf schon gefasst gewesen war.
»Schau ma mal.« Sofie tat sich schwer mit der Schnalle des Helms.
Ihre Gesichter kamen sich näher, als Joe sich an ihrem Helm zu schaffen machte. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Dann sprang die Schnalle auf.
War es Bedauern, das Sofie in Joes Miene las?
Beinahe hastig wandte er sich ab, öffnete das Topcase und – verzog das Gesicht. Mit einem Schlag war jegliche Romantik verflogen.
Obwohl sie die diversen improvisierten Asservatenbeutel so dicht wie möglich verschlossen hatten, stank das Zeug noch immer bestialisch.
Vor der Pförtnerloge trafen sie auf drei junge Frauen. Joe nickte der hübschen Polizistin in Uniform zu. Trotz des warmen Wetters war sie vom Scheitel bis zur Sohle tipptopp gekleidet, ihre gekringelten Haare standen wie dunkle Antennen vom Kopf ab. Das Mädchen hinter ihr war jünger, groß gewachsen und überschlank. Mitfühlend hatte sie den Arm um ihre völlig verheulte Freundin geschlungen, deren roter Rock in Fetzen herabhing und wie ihr gesamtes Äußeres auf einen brutalen Über fall schließen ließ – wenn nicht mehr.
»Mannsbilder, elendige«, entfuhr es Joe, der sofort begriff, was die drei Frauen hierher verschlagen hatte.
Sofie fühlte sich plötzlich, als hätte sie einen Stock verschluckt.
»Mein Name ist Dr. Rosenhuth«, sprach sie die drei an. »Kann ich Ihnen helfen?«
Ein zaghaftes Nicken, dann dirigierte Sofie die Frauen am
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