Die Kanonen von Navarone
wird nur seinen Freunden gefährlich«, sagte Turzig kurz. »Wie ich sagte, Herr Hauptmann: der würde die eigene Mutter verraten, wenn er seine Haut dadurch retten kann.«
»Und gibt vor, uns freundlich gesonnen zu sein, wie?« fragte Skoda sinnend. »Einer unserer tapferen Verbündeten also.« Er holte anscheinend ganz gemütlich mit der Hand aus und versetzte Andrea einen harten, tückischen Schlag auf die Wange, wobei der schwere Siegelring an seinem Mittelfinger durch die Haut bis ins Fleisch schnitt. Andrea stieß einen Schmerzensschrei aus, hielt schnell die Hand vor sein blutendes Gesicht und duckte sich rückwärts, den rechten Arm in blinder Abwehr über den Kopf erhoben.
»Eine beachtliche Verstärkung der Wehrmacht des Dritten Reiches«, murmelte Skoda. »Sie haben sich nicht geirrt, Oberleutnant: ein feiger Bursche. Die instinktive Reaktion bei Schmerz ist ein untrüglicher Maßstab. Merkwürdig«, philosophierte er, »wie oft gerade sehr starke Männer so sind. Vermutlich ein Ausgleichsverfahren der Natur … Wie heißen Sie, mein tapferer Freund?«
»Papagos«, knurrte Andrea verdrießlich. »Peter Papagos.« Er zog seine Hand von der Wange, betrachtete sie mit vor Entsetzen geweiteten Augen und begann sie mit schnellen, nervösen Bewegungen an seinem Beinkleid abzuwischen, indem er seinen Ekel deutlich zur Schau trug. Skoda betrachtete ihn belustigt.
»Sie mögen nicht gern Blut sehen, was Papagos?« sagte er. »Vor allem nicht Ihr eigenes?«
Einige Sekunden herrschte Schweigen, dann hob Andrea plötzlich den Kopf, mit jammervoll verzerrtem Gesicht, als müsse er gleich weinen.
»Ich bin doch nur ein armer Fischer, Euer Ehren«, fuhr es aus ihm heraus. »Sie lachen über mich und sagen, daß ich kein Blut sehen mag, und das ist wahr? Ich kann auch keine Menschen leiden sehen und hasse den Krieg. Mit all dem will ich nichts zu tun haben!« Er ballte in vergeblichem Flehen seine gewaltigen Fäuste, sein Gesicht zuckte vor Wehleidigkeit, seine Stimme klang viel höher als sonst.
Es war eine meisterhafte Szene der Verzweiflung, so echt, daß sogar Mallory ihm beinah glaubte.
»Warum läßt man mich nicht in Frieden?« fuhr Andrea pathetisch fort. »Ich bin, weiß Gott, keine Kämpfernatur –.«
»Insgesamt eine sehr ungenaue Feststellung«, unterbrach ihn Skoda trocken. »Letzteres muß freilich inzwischen allen Anwesenden klar geworden sein.« Er klopfte, ihn nachdenklich musternd, mit einer schwarzen Zigarettenspitze gegen seine Zähne. »Sie behaupten, Fischer zu sein –«
»Ein verfluchter Verräter ist er!« rief Mallory. Er fand, daß der Kommandeur sich ein bißchen zuviel für Andrea interessierte. Skoda war sofort herumgefahren, er stand, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, auf Hacken und Fußspitzen wippend, vor Mallory und musterte ihn von oben bis unten.
»So!« sagte er sinnend. »Der große Keith Mallory! Ein ganz anderes Kaliber als unser dicker und bänglicher Freund da auf der Bank, nicht wahr, Oberleutnant?« Er wartete keine Antwort ab. »Welchen Dienstgrad haben Sie, Mallory?«
»Captain«, antwortete Mallory kurz.
»Hauptmann Mallory, soso. Hauptmann Keith Mallory, der großartigste Bergsteiger unserer Zeit, das Idol der Europäer vor dem Krieg, Meister in den unmöglichsten Bergpartien auf dieser Erde.« Skoda schüttelte bekümmert den Kopf. »Und sich vorzustellen, daß das nun so enden soll … Ich bezweifle, daß die Nachwelt Ihre letzte Kletterleistung zu Ihren besten zählen wird, denn es führen nur zehn Stufen zum Galgen in der Festung Navarone.« Er lächelte. »Kein besonders erfreulicher Gedanke, nicht wahr, Captain Mallory?«
»Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht«, gab der Neuseeländer freundlich zurück. »Ich zerbreche mir den Kopf über Ihr Gesicht.« Er furchte nachdenklich die Stirn. »Ich habe es, oder so ein ähnliches, bestimmt schon irgendwo gesehen.« Er ließ die letzten Worte schwach abklingen.
»Wirklich?« fragte Skoda interessiert. »In den Berner Alpen vielleicht? Da bin ich vor dem Krieg oft –«
»Jetzt hab ich's!« Mallorys Stirn glättete sich. Er wußte, was er riskierte, aber alles, was jetzt die Aufmerksamkeit von Andrea ablenken und auf ihn konzentrieren konnte, schien ihm richtig. Er strahlte Skoda an. »Vor drei Monaten war es, im Zoo von Kairo. Ein im Sudan gefangener Wüstenbussard. Leider ein ziemlich alter und räudiger«, ergänzte er wie zur Entschuldigung, »aber er hatte genau denselben dürren
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