Die Katze
Zimmer geflissentlich übersehen. Charley hatte sich daran abgemüht, aber der verräterische Fleck verschwand auch nach allem Schrubben nicht. Es spielte ohnehin keine Rolle. Ihr Vater hatte ihn nicht einmal bemerkt.
Plötzlich riss eine Polizeisirene sie jäh in die Gegenwart zurück. Charley war sich nicht sicher, wie lange das Geräusch schon zu hören gewesen war. Anfangs hatte sie das leise Heulen in ihrem Ohr für einen ausufernden Gitarrenriff auf KISS-FM gehalten. Und genauso wenig konnte sie sagen, wann genau sie begriffen hatte, dass das flackernde Licht im Rückspiegel ihr ganz persönlich galt. Jedenfalls wurde sie im selben Moment von einem Streifenwagen überholt, der direkt vor ihr wieder einscherte und ihr signalisierte, dass sie anhalten sollte. »Verdammt«, murmelte sie, als sie am Rand des dicht befahrenen Turnpike zum Stehen kam, Zulassung und Führerschein aus ihrer Handtasche kramte und sie dem Beamten durch das offene Seitenfester reichte, bevor er danach fragen konnte.
»Haben Sie eine Vorstellung, wie schnell Sie gefahren sind?«, wollte er wissen. Sein barscher Ton überraschte sie.
Sie fragte sich, ob er wirklich so wütend war, wie er sich anhörte, und hob ihren Blick, während sie sich auf die Unterlippe biss, um so sowohl Bedauern als auch Verletzlichkeit zu vermitteln. Das hilflose Weibchen, überwältigt von den Umständen und eingeschüchtert von so viel männlicher Kompetenz. Mit dieser Masche war sie dieses Jahr schon um zwei Strafzettel herumgekommen. »Es tut mir schrecklich leid«, hauchte sie
und klapperte in dem angestrengten Bemühen, ein paar Tränchen fließen zu lassen, heftig mit den Wimpern. »Ich wusste nicht …«
»Wir haben Sie mit hundertfünfzig Stundenkilometern geblitzt.«
Charley drückte sich jetzt tatsächlich ein paar Tränen ab. Der Polizist wirkte erstaunlich unbeeindruckt. »Sind Sie ganz sicher?«, fragte sie hinter all ihrer aufgesetzten Mädchenhaftigkeit ehrlich fassungslos. Konnte sie wirklich vierzig Kilometer schneller gefahren sein als erlaubt? »So schnell fahre ich sonst nie.«
»Sie können gerichtlichen Widerspruch gegen das Bußgeld einlegen«, sagte der Beamte nur, bevor er zu seinem Streifenwagen ging, um ihre Daten in den Computer zu geben.
Charley sah seine untersetzte Gestalt im Rückspiegel langsam kleiner werden und fragte sich, welche Masche bei diesem offensichtlich griesgrämigen Mann mittleren Alters vielleicht besser funktionieren würde. Er hatte offenbar einen langen Tag hinter sich und war nicht zu Nettigkeiten aufgelegt, egal wie viele Tränen sie sich aus ihren großen blauen Augen quetschte.
»Hören Sie, es tut mir wirklich leid«, erklärte sie dem Beamten, als er zurückkam, und beschloss, ihm einfach die Wahrheit zu sagen. »Ich habe einen wirklich aufwühlenden Nachmittag hinter mir.«
»Stellen Sie sich vor, um wie vieles aufwühlender er geworden wäre, wenn Sie jemanden tot gefahren hätten«, entgegnete er, gab Charley ihren Führerschein und die Zulassung zurück, dazu einen Strafzettel über vierhundert Dollar wegen überhöhter Geschwindigkeit.
»Vierhundert Dollar! Das kann nicht Ihr Ernst sein!«
»Und drei Punkte.«
»Punkte bekomme ich auch noch?« Diesmal waren die Tränen in ihren Augen echt.
Die Miene des Polizisten wurde sofort freundlicher. Er blickte zu Boden und atmete schwer aus.
Charley dachte, dass er den Strafzettel vielleicht zurücknehmen oder die gemessene überhöhte Geschwindigkeit zumindest so weit nach unten korrigieren würde, dass sie nicht auch noch Punkte kassierte. Deshalb strich sie ein paar lose Haarsträhnen hinters Ohr und schlug demütig die Augen nieder.
Der Polizist klopfte auf ihr Wagendach. »Fahren Sie vorsichtig«, ermahnte er sie.
»Scheiße«, fluchte sie, als er außer Hörweite war, und stopfte den Strafzettel in ihre Handtasche, die wie ein teilnahmsloser Beifahrer auf dem Sitz neben ihr stand. »Drei Punkte! Vierhundert Dollar! Das ist alles deine Schuld, verdammt!«, fuhr sie fort, dachte an Jill und fragte sich, ob sie den Strafzettel als Geschäftskosten absetzen konnte. Recherchespesen, dachte sie und wartete auf eine Lücke im Verkehr, um wieder auf den Highway aufzufahren. »Vierhundert Dollar!«, jammerte sie erneut und behielt das Tachometer nun sorgsam im Blick. Was für eine Verschwendung, wenn sie daran dachte, was sie mit vierhundert Dollar alles hätte anfangen können. Sie hätte die Hypothek für den kommenden Monat oder den Ärmel einer
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