Die keltische Schwester
die Wange und ging nach draußen.
»Möchten Sie in der Sonne sitzen, Mère Morwenna?«
»Nein. Zu kalt heute.«
Ich fand es zwar angenehm, aber das Bündelchen Haut und Knochen, das sie noch war, fror bestimmt leichter als ich. So blieb ich einfach bei ihr sitzen und hielt ihre Hand. Es war still, und ein seltsamer Frieden ging von ihr aus. Ein Frieden, der mich füllte, mir Ruhe schenkte und Hoffnung gab.
»
Écoute
, Lindis!
Écoute
!«
Horchen sollte ich? Auf was?
»Écoute. Elle chante. Elle chante!«
Ich strengte mich an, um den Gesang zu hören, den auch sie hörte. Doch ihre Ohren mochten schon den Klängen der anderen Welt lauschen, wundervollen Klängen, denn ein verklärtes Lächeln lag auf ihren Lippen.
Auch ich küsste sie auf die Wange und ging leise. Marie-Claire würde am Abend noch einmal nach ihr schauen.
Auf dem Tisch lagen die Papiere, unbeachtet. Ich glaubte nicht, dass sie überhaupt ein Interesse daran hatte.
»Robert, lange lebt Morwenna nicht mehr, habe ich den Eindruck.«
»Ich glaube auch nicht. Aber trotzdem wollen wir hoffen, dass sie niemand weiter belästigt, erschreckt oder quält. Nötigenfalls muss ich mir Daniels mal ein wenig zur Seite nehmen.«
»Au ja, willst du ihn verhauen?«
»Ungern. Erst möchte ich es mit der scharfen Waffe meiner Argumente versuchen.«
»Ist auch besser. Er ist nämlich ein Adept auf dem Weg des Kriegers.«
»Ach was? Na, da hat er sich aber einen dornigen Weg ausgesucht, so ungeduldig, wie er ist.«
Ich saß neben Robert auf der Bank in der Sonne, er hatte seinen Arm um mich gelegt. Der Dämon kam mit irgendetwas Zappelndem angetrabt, machte aber eine Kehrtwendung, als er uns sah.
»Davon sollten wir wohl nichts abgekommen!«
»Hättest du gerne noch eine Maus im Haus?«
»Ach ja, die sind so possierlich. Du, Robert, ich habe heute Nacht im Bett etwas Wichtiges geträumt, fällt mir gerade ein.«
»Nein, Lindis, du hast es nicht geträumt, und ich finde es sehr uncharmant, dass es dir ›gerade einfällt‹.«
»Bähbäh. Das kann ich gerade noch unterscheiden, auch wenn das andere ebenso wichtig wie traumhaft war. Nein, ich habe einen kurzen Traum von Danu gehabt. Eigentlich nicht so sehr von ihr als von ihrem Begräbnis. Wenn das stimmt, was ich gesehen habe, dann gibt es hier irgendwo ganz in der Nähe eine Höhle, in der sie begraben ist. Mit Schmuck und Klimbim und allem!«
»Lindis!« Robert hatte mich bei den Schultern gepackt. »Wenn das stimmt!«
»Kann man das herausfinden, ohne Morwenna zu stören?«
»Ich denke schon. Unsere Archäologen haben höchst sensible Messgeräte. Man geht heute nicht mehr mit der Spitzhacke und dem Spaten an die Ausgrabungen. Je genauer du beschreiben kannst, wo sich das Grab befindet, desto leichter werden sie es orten.«
»Aber, Robert, ich möchte eigentlich gar nicht so gerne, dass das Grab gefunden wird. Warum Danu stören?«
»Gut, dann behalten wir es für uns, Liebste. Danu ist deine ältere Schwester – und meine Geliebte, einst.«
Er küsste mich, und ich war froh darüber, dass er nicht vom Dienste der Wissenschaft gesprochen hatte. Verständnisvoll. Gütig …
»Die Geschichte, dieses komische Märchen, das Morwennaneulich erzählt hat, als wir alle hier saßen – Robert, hat sie damit dich gemeint, mit dem Wanderer, der seine Last ablegt?«
»Ja, das hat sie wohl. Zumindest ist es das, was mit mir geschehen ist.«
»Du bist auch in der
Autre Monde
gewandert?«
»Ja, meine Geliebte, ich bin auch dort gewandert.«
»Und hast dich verändert.«
»Niemand wandert in der
Autre Monde
und kommt unverändert zurück.«
»Waren es bei dir auch Träume?«
»Nein, bis auf den einen, den du gestern miterlebt hast. Nein, es waren Alltäglichkeiten, Zufälle, Einsichten.«
»Wie eigenartig! Ich habe mir zuvor noch nie Gedanken darüber gemacht. Was hat das mit der
Autre Monde
auf sich?«
Doch bevor er antworten konnte, kehrten Teresa und Beni zurück.
»Na, ihr Turteltauben?«
»Na, Dreckspatz?«
»Bin ich schmutzig?«
»Ein bisschen sandig. Leute, es gibt Neuigkeiten!«
Wir erzählten den beiden von dem Kaufvertrag und den Drohungen.
»Dann bleiben wir am besten heute Abend hier und schieben Wache! Wie gut, Teresa, dass wir diesen Fisch gekauft haben.«
»Danke. Die Einladung ist nur aufgeschoben, wir holen das Essen nach, wenn wieder Ruhe eingekehrt ist. Was hast du denn da für einen Fisch?«, fragte Robert, und Beni antwortete: »Oh, einen besonders guten. Zu dem
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