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Die Ketzerbraut. Roman

Titel: Die Ketzerbraut. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Fall sein, verlor er dadurch beinahe ein ganzes Jahr, und das war ihm zu lang.

6.
    I n Gedanken versunken schritt Rickinger die Kaufingergasse entlang, bis er mit jemandem zusammenstieß.
    »Kannst du nicht aufpassen!«, entfuhr es ihm. Dann zuckte er zusammen, denn er hatte eine junge Frau in Witwentracht angerempelt. Sie kam ihm bekannt vor, ohne dass ihm auf Anhieb einfiel, wer sie war.
    »Ich fürchte, wir haben beide nicht aufgepasst«, sagte er in dem Bemühen, sich nicht zu sehr zu entschuldigen.
    Die junge Frau begriff, dass dies das äußerste Entgegenkommen war, das sie von dem Bürger erwarten konnte, und nickte. »Du hast recht, Rickinger. Ich bin erst gestern wieder nach München zurückgekehrt und hab direkt vergessen, wie viele Leute hier herumlaufen.«
    Sie kannte ihn also. Rickinger durchforstete sein Gedächtnis, kam aber nicht auf ihren Namen. Dabei bot sie einen Anblick, der ihm eigentlich nicht hätte entfallen dürfen. Sie mochte um die dreißig Jahre alt sein, hatte eine dralle Gestalt und ein hübsches, rundliches Gesicht mit blauen Augen. Die Augenbrauen waren blond wie die Haarsträhne, die vorwitzig unter ihrer Witwenhaube hervorlugte. Im Grunde stellte sie genau das dar, was er sich für sein einsames Bett wünschte.
    »So, du bist erst jetzt wieder in die Residenzstadt gekommen. Hier ist natürlich mehr los als anderswo.« Rickinger wollte das Gespräch nicht abreißen lassen und hoffte gleichzeitig, einen Hinweis auf ihre Identität zu bekommen.
    »Mehr als in Dachau ist in München schon los.«
    In Dachau also hatte sie gelebt, dachte Rickinger in der Hoffnung, bei ihm fiele endlich der Groschen. Ihren Worten zufolge
     musste sie von hier stammen.
    »Du hast also nach Dachau geheiratet«, stellte er fest.
    Die Frau blickte ihn verwundert an. »Sag bloß, du kennst mich nicht mehr?«
    »Es fällt mir gerade nicht ein. Ich hab halt viel am Hals!« Rickinger gab dies nur ungern zu, denn sie sollte ihn um Himmels willen nicht für einen Tattergreis halten, weil sein Gedächtnis ihn im Stich ließ.
    »Ich bin die Striegler Susanne. Das hättest du aber wissen müssen, denn ich bin doch in der Nachbarschaft aufgewachsen!« Ein Lachen nahm ihren Worten die Schärfe.
    Das machte es Rickinger leicht, über sich selbst zu lachen. »Jetzt habe ich’s geschnallt! Tut mir leid, aber das hätte ich nicht erwartet. Ich hab dich immer noch als junges Madel mit Zöpfen in Erinnerung, und jetzt sehe ich dich als Frau wieder, an der alles dran ist, was dazugehört.«
    Es klang so schmeichelhaft, dass Susanne Striegler sich den Mann genauer ansah. Zwar war er in den zwölf Jahren, die sie aus München fort war, ein ganzes Stück älter geworden, aber er wirkte immer noch gesund und kräftig. Zudem las sie in seinen Augen eine Gier, die nur eines bedeuten konnte: Wenn es nach Rickinger ginge, würde er sie auf der Stelle mit nach Hause nehmen und ins Bett schleifen.
    Bei dem Gedanken stutzte sie. Auch wenn sie nur gelegentlich Besuch von Münchner Verwandten erhalten hatte, so war ihr doch zugetragen worden, dass Rickingers Ehefrau das Zeitliche gesegnet hatte. Beinahe unbewusst straffte sie ihre Gestalt, damit ihre körperlichen Vorzüge noch mehr hervortraten. Ihr Bruder hatte ihr bereits angedeutet, sie solle sich baldmöglichst einen neuen Ehemann suchen. Als Tochter und Witwe von Bäckern konnte sie normalerweise nur hoffen, von einem verwitweten Bäcker geheiratet zu werden, der eine Hausfrau brauchte, die das Gesinde im Zaum hielt und seine Kinder aus erster Ehe erzog. Wenn sie nun aber Rickinger ins Auge stach und dieser sie zum Weib nahm, war dies ein Aufstieg, wie sie ihn sich niemals hätte erhoffen dürfen.
    »Mein Mann war schon über sechzig und ist vor einem guten Vierteljahr gestorben. Zusammen haben wir keine Kinder gehabt, aber es gibt einen Sohn aus seiner ersten Ehe. Der hat die Bäckerei übernommen, und ihm und seinem Weib hat es nicht gepasst, dass ich das Wohnrecht im Haus gehabt habe. Sie haben mich sogar geschlagen! Aber wenn mein Stiefsohn besoffen war und seine Frau nicht in der Nähe, hat er unsittlich werden wollen. Zuletzt habe ich’s nimmer ausgehalten und bin zu meinem Bruder zurück, obwohl dessen Haus eigentlich zu klein ist für all die Leute, die dort wohnen.« Susanne Striegler sagte es bewusst in einem jammervollen Ton, um Rickingers Mitleid zu erregen.
    Prompt nickte er grimmig und sah sie dann beinahe bittend an. »Hast du was dagegen, wenn ich dich daheim

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