Die Kinder des Dschinn. Der Spion im Himalaya
Höhe.
»Drei«, hörte John sich selbst murmeln.
Die Männer wirkten sehr besorgt um sein Wohlergehen und beschimpften einen Mann mit einem Gewehr, weil er Johns fliegenden Teppich abgeschossen hatte. Was John jedoch wirklich zu schaffen machte – aber das war sicher nur eine Halluzination, wie er sich selbst beschwichtigte –, war die Erkenntnis, dass alle diese Männer die unverkennbare schwarze Uniform und die Armbinden von Hitlers SS trugen.
Der Mann in Schwarz
Das Lamakloster stand hoch oben auf einem Vorsprung im Innern des Kailash-Kraters und erinnerte John an eine Ziege, die auf einem unzugänglichen Felsabsatz in der Falle saß. Zumindest von außen hatte das Kloster ein typisch buddhistisches Erscheinungsbild: Es war aus weißem Stein und bestand aus fünf großen Sälen, die durch Höfe mit hohen Mauern voneinander getrennt waren, kleinen Fenstern und pagodenartigen Dächern. Im Innern jedoch unterschieden sich die Dinge sehr von einem traditionellen tibetischen Tempel. Überall hingen Banner und Fahnen mit Hakenkreuzen, und statt Bildern und Statuen von Buddha gab es Bilder und Statuen von Adolf Hitler – ein Mann, der mit Sicherheit bei jedem ganz oben auf der Liste der schrecklichsten Menschen der Welt steht.
Die Deutschen trugen den immer noch benommenen John durch das Haupttor in eine Art Ambulanzstation. Der tibetische Wind strich unter der Tür hindurch und wehte durch einen Fensterspalt wie der Seufzer eines unsichtbaren Geistes. Es gab Glasvitrinen voller Arzneimittel, einige Betten und an der Wand, zwischen zwei medizinischen Schautafeln, ein weiteres Hitlerporträt. Ein überaus beunruhigender Ort. Ein Mann in weißem Kittel setzte sich vor John und untersuchte ihn auf Knochenbrüche, ehe er seine Temperatur überprüfte.
»Du liebe Zeit«, sagte er. »Du verbrennst ja.«
»Nein, mir geht es gut«, widersprach John. »Das ist meine normale Körpertemperatur.«
»Unsinn«, sagte der Mann, und ehe John reagieren konnte, hatte man ihm auch schon die warme Pelzmütze und den Mantel weggenommen. John spürte auf der Stelle, wie seine Kerntemperatur abfiel. »So ist es besser.«
»Kann ich meinen Mantel wiederhaben?«, bat John. »Jetzt ist mir kalt.«
»Da sagt das Thermometer aber etwas anderes«, sagte der Mann im weißen Kittel. »Sieh mal, jetzt sind es genau siebenunddreißig Grad.«
John, der es für besser hielt, nicht zu erwähnen, dass seine normale Körpertemperatur um einiges höher lag, nickte zustimmend. Gleichzeitig versuchte er, seine verbliebene Körperwärme zu speichern, damit er sich notfalls in ein Tier verwandeln konnte, falls die Nazis unangenehm werden sollten, stellte jedoch fest, dass er nicht in der Lage war, seine Dschinnkräfte zu bündeln. Jedes Mal, wenn er versuchte, seine Konzentration auf einen Punkt zu fokussieren, schien sein Geist abzudriften.
Dann fiel ihm ein, dass er draußen im Schnee einen Stich im Arm verspürt hatte.
»Haben Sie mir etwas gegeben?«, fragte er misstrauisch.
»Ja, als du ohnmächtig warst«, sagte der Mann im weißen Kittel. »Ich habe dir eine Injektion gegeben, die dir helfen soll, wieder auf die Beine zu kommen.«
John nickte. Das erklärte die Sache.
»Äh, wo ist mein Hund?«, fragte er und vermied es, das Wort Wolf zu benutzen. Es klang zu ungewöhnlich. Die Menschen waren ein wenig empfindlich, was zahme Wölfe anging.
»Einer unserer Männer hat Veterinär-Erfahrung und kümmert sich um ihn«, erklärte der Mann im weißen Kittel.
»Geht es ihm gut?«
»Ja, ich glaube, er wird wieder. Er hat eine Gehirnerschütterung. So ähnlich wie du, vermute ich.«
»Ich würde ihn gern sehen«, sagte John.
»Sobald du ein paar Fragen beantwortet hast«, sagte der Mann im weißen Kittel. »Wer bist du und was machst du hier?«
John schüttelte den Kopf. »Ich hätte da auch ein oder zwei Fragen«, sagte er. »Zum Beispiel, was zum Teufel Ihnen einfällt, einfach so auf Leute zu schießen. Sie hätten mich umbringen können.«
»Das Ganze tut mir sehr leid, aber einer meiner Leute hat dich mit einem Jagdvogel verwechselt«, sagte der Mann im weißen Kittel. »Fleisch ist eine rare Kost hier oben im Lamakloster Mopu. So heißt dieser Ort. Ich fürchte, er hatte dich für unseren Kochtopf bestimmt, ehe er seinen Fehler erkannte. Um ganz ehrlich zu sein, waren wir alle ziemlich überrascht, einen Jungen und einen Hund auf einem fliegenden Teppich zu sehen. Selbst hier im Kailash-Krater, wo es alles andere als normal
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