Die Kinder des Dschinn. Der Spion im Himalaya
eines besagte: »Idiot.«
»Wie lautet das dritte Rätsel?«, fragte er Mr Burton, begierig darauf, sich diesmal zu beweisen.
»Verrate mir bitte Folgendes«, begann Mr Burton. »Ja, sage mir, was ist besser als der Himmel, aber schlimmer als die Hölle? Jeder Arme hat es, aber selbst der Reichste auf der Welt braucht es. Und wenn du es isst, wirst du mit Sicherheit sterben. Wovon spreche ich?«
John zermarterte sich das Hirn und warf einen kurzen Seitenblick auf seine Schwester. Da er ihr Zwillingsbruder war und fast telepathisch erfassen konnte, was sie dachte – und umgekehrt –, versuchte er sogar, einen kurzen Blick in ihre Gedanken zu werfen. Doch er stellte fest, dass sie ihm den Zugang zu ihren Gedanken versperrt hatte und ihn unentwegt anstarrte.
»Was suchst du?«, fragte sie.
»Nichts«, sagte er und verdoppelte seine Bemühungen, vor ihr eine Lösung zu finden.
»Natürlich«, flüsterte sie. »Das ist es. Das ist die Antwort.«
»Was?«, fragte John zurück, der begriff, dass er etwas Wichtiges gesagt oder gedacht haben musste, was Philippa als Stichwortaufgefasst hatte. Aber was war es? Was hatte er gesagt? Er wusste es nicht.
»Na los«, drängte sie ihn. »Sag es ihm, John. Spann uns nicht so auf die Folter.«
John lächelte dünn, verwirrt von diesem vierten Rätsel: dem Rätsel, wie er das Rätsel gelöst hatte. Er wrang sein Hirn aus wie einen nassen Schwamm und schüttelte dann den Kopf. »Äh, nein, ich glaube nicht, dass ich es gelöst habe«, sagte er. »Und falls doch, weiß ich nicht, wie.«
Philippa zuckte die Schultern. »Du hast es aber gesagt.«
Noch gereizter als zuvor schüttelte John den Kopf. »Nein«, sagte er. »Ich habe nichts gesagt. Ich weiß die blöde Antwort nicht, du Idiot.«
»Das ist die Antwort«, sagte Philippa. »Selber Idiot.«
»Was ist die Antwort?« John klang erschöpft.
»Nichts.«
Wieder schüttelte John den Kopf. Es gab Zeiten, da fühlte er sich wie der dümmste Dschinn, der jemals aus einer Flasche gequollen war. Und dies war so ein Moment. »Sag’s mir«, bat er. »Sei nicht blöd, Phil.«
»Nichts«, wiederholte diese. »Die Antwort ist: Nichts.«
»Aber es muss eine Antwort geben«, sagte John. »Ohne Antwort gibt es kein Rätsel.«
Philippa gab auf und wandte sich Burton zu. »›Nichts‹ ist die Antwort«, erklärte sie dem alten Fakir. »Nichts ist besser als der Himmel und nichts schlimmer als die Hölle. Ein armer Mensch hat nichts und der reichste Mensch braucht nichts. Und wenn man nichts isst, wird man mit Sicherheit sterben.« Sie nickte. »Genau das hätte Mr Rakshasas auch gesagt.«
»Schon wieder gut geantwortet, Mädchen«, sagte Mr Burton.
John verfluchte sich für seine eigene Dummheit. Es stimmte. Jetzt fiel es ihm wieder ein. Er hatte »Nichts« gesagt, als Philippa ihn fragte, was er in ihren Gedanken zu suchen hatte. Er hatte die Antwort selbst ausgesprochen und sie trotzdem nicht verstanden.
»Mach dir nichts daraus, John«, sagte sein Onkel Nimrod. »Wir können nicht alle Stephen Hawking sein.«
Mr Burton lächelte und legte John freundlich die Hand auf den Kopf. »Beruhige dich, Junge. Und erkenne, dass das wahre Vergnügen eines Rätsels darin besteht, wie im wirklichen Leben seinen eigenen Weg zur richtigen Antwort zu finden. Weisheit am Anfang ist gut, aber noch besser ist sie am Ende. Alles verstehen kann man immer erst im Nachhinein.«
»Sie haben leicht reden«, sagte John, der sich innerlich immer noch zerfleischte.
»Es spielt keine Rolle, wie groß dein Großvater war, Junge, das Wachsen musst du schon selbst übernehmen.«
»Dann werden Sie mir helfen?«, fragte Nimrod, und als Burton nickte, erklärte er dem Fakir das Problem, das sie den langen Weg von London bis hierher geführt hatte. »Ein Haufen religiöser Schurken, Bettelfakire höchstwahrscheinlich, und mit Sicherheit Angehörige einer Vereinigung, die absonderlichen geheimen Gesetzen folgt und darauf abzuzielen scheint, das Ausmaß des Glücks, das auf dieser Welt vorhanden ist, zu verändern. Die Frage ist nur, warum? Was wollen sie damit erreichen?«
»Hm. Das ist interessant. Aber ich hoffe, Sie verzeihen mir, Nimrod, wenn ich Ihnen sage, dass ich müde bin. Es war ein trubeliger Tag für mich. Sie müssen morgen wiederkommen, dann werden wir reden.«
»Wir sind doch erst seit zehn Minuten da«, flüsterte Groanin.
»Ich glaube, wir sollten die Wünsche des Fakirs respektieren«, sagte My zu ihm. »Schließlich
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