Die Kinder des Dschinn. Der Spion im Himalaya
schon.«
»Dann wurdet ihr beide, du und Zagreus, vielleicht aus diesem Grund zusammengebracht.«
»Vielleicht«, sagte John. »Aber jemand, der so wichtig ist wie Mr Rakshasas, würde doch nicht als Hund zurückkommen, oder?«
»Wir können uns nicht aussuchen, als wer oder was wir zurückkommen«, sagte Mr Burton. »Wenn wir überhaupt zurückkommen. Das tut nicht jeder. Und ein Hund ist gar nicht schlecht.«
»Warum kommen Leute denn zurück?«, wollte John wissen.
»Vielleicht haben sie noch etwas zu tun oder zu sagen?«, vermutete Mr Burton.
»Dann hat es nicht viel Zweck, als Hund zurückzukommen«, stellte John fest. »Sie können nämlich nichts sagen.«
»Erzähle das einem Hund«, sagte Mr Burton. »Ich habe den Eindruck, dass sie eine Menge sagen können. Hin und wieder sogar uns.«
John schüttelte den Kopf. »Nein, das ist kein Hund. Er ist ein Wolf. Mr Rakshasas ist als Wolf zurückgekommen. Als junger Wolf. Er ist schwarz und grau und hat leuchtend blaue Augen. Ich kann ihn sogar heulen hören. Er ist auch an einem kaltenOrt. Sieht aus wie der Yellowstone-Nationalpark. Ja, das ist der Yellowstone-Nationalpark. Mann, ich dachte, ich hätte schon alles gesehen. Jedenfalls eine Menge. Aber das ist der Hammer.«
John schüttelte den Kopf und merkte plötzlich, dass er nur einen einfachen Tintenfleck anstarrte. »Das, was ich gesehen habe«, sagte er, »wie lange ist das her?«
»Die Vergangenheit ist die Vergangenheit«, meinte Mr Burton. »Sie kann ein paar Sekunden zurückliegen oder viele Jahre. Je länger du schaust, desto weiter blickst du zurück.«
»Und die Zukunft?«, fragte John. »Kann ich auf die gleiche Art auch in die Zukunft sehen?«
»Der Tintenfleck, in den du geschaut hast, war konkav«, erklärte Mr Burton. »Um in die Zukunft zu blicken, musst du in einen Tintenfleck schauen, der konvex ist.«
»Sie meinen, wie bei einer Linse?«
Mr Burton nickte. »Aber die Vergangenheit zu kennen, ist eine Sache. Die Zukunft zu kennen, eine ganz andere. Es ist nicht ungefährlich.«
»In welcher Hinsicht?«
»Es gibt nichts Gefährlicheres im Universum als das Wissen um die Zukunft«, erklärte Mr Burton. »Aus diesem Grund harre ich hier aus. Einmal, vor vielen Jahren, habe ich in die Zukunft geblickt, und was ich dort sah, brachte mich zu der Überzeugung, dass es für alle sicherer wäre, wenn ich hierherkäme, wo ich das Wissen nicht in die Tat umsetzen kann.«
»Kann ich nach etwas Speziellem Ausschau halten?«, fragte John.
»Ja, aber warum willst du überhaupt in die Zukunft schauen?«
»Ich denke, ich will mich vergewissern, dass ich es zu etwas bringen werde.«
»Du kannst nachsehen, aber es gibt keine Garantie, dass du etwas sehen wirst«, sagte Mr Burton. »Zukunftsvisionen sind eher selten und unvorhersehbar.« Er druckste ein wenig herum.
»Was?«, fragte John.
»Ein Blick in die Zukunft wird einem nur selten zuteil. Doch wenn man einen solchen Einblick erhält, ist es schwer, nicht darauf zu reagieren. Dennoch muss dir bewusst sein, dass das, was du vielleicht siehst, nur einen Ausschnitt und nicht das Ganze darstellt; daher kann dein Verständnis davon ebenso unvollständig sein. Bist du sicher, dass du das willst, junger Dschinn?«
»Ja«, sagte John.
Mr Burton wischte mit dem Saum seines Gewands den Tintenfleck von der Untertasse, nahm seinen Füller und ließ einen weiteren Tropfen in die Mitte des Tellers fallen. »Dann schaue noch einmal«, sagte er.
John beugte sich vor und sah genau hin. Als Erstes fiel ihm auf, dass der Klecks diesmal konvex war, und es beeindruckte ihn, dass Mr Burton mit Tintenflecken so etwas zustande brachte.
»Wie schaffen Sie es, den einen Tropfen konkav zu machen und den anderen konvex?«, fragte er.
»Übung«, sagte Mr Burton. »Aber du solltest lieber schweigen. Die Zukunft ist wie ein großer Filmstar. Sie lässt sich nicht gern respektlos fotografieren.«
John schaute eine Weile und sah gar nichts. Das dachte er jedenfalls. Doch gerade, als er blinzeln und sich die Augen reiben wollte, sah er sich selbst in gebeugter Haltung über einem Körperlehnen. Einem leblosen Körper. John war ziemlich sicher, dass es sich um einen Toten handelte, weil er Blut an den Händen hatte. Das Gesicht des toten Mannes konnte er nicht sehen, doch der rote Fuchspelzmantel ließ keinen Zweifel. Es war sein Onkel Nimrod. Nimrod war gestorben, und zwar durch Johns blutbefleckte Hand, wie es schien.
John
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