Die Kinder des Kapitän Grant
sich doch, lieber Lord, das Frühstück erwartet Sie.«
Es war Paganel. Alle stürzten sich bei seiner Stimme in das Oudoupa und sielen dem würdigen Geographen in die langen Arme. Paganel war wiedergefunden! Das allgemeine Wohl verkörperte sich in seiner Person! Man fragte ihn, man wollte wissen, wie und warum er auf den Gipfel des Maunganamu gelangt sei. Doch Glenarvan unterdrückte mit einem Worte diese unzeitige Neugier.
»Denkt an die Wilden! sagte er.
– Die Wilden! entgegnete achselzuckend Paganel. Das sind Geschöpfe, welche ich souverän verachte.
– Aber könnten sie nicht …
– Sie! Diese Feiglinge! Seht sie nur an!«
Alle folgten Paganel, der aus dem Oudoupa schritt. Die Seeländer standen noch an der nämlichen Stelle am Fuße des Bergkegels und stießen ein furchtbares Geschrei aus.
»Schreit und heult nur zu! Sprengt Eure Lungen, Ihr albernen Geschöpfe! sagte Paganel. Kommt doch und ersteigt diesen Berg.
– Und warum thun sie es nicht? fragte Glenarvan.
– Weil jener Häuptling hier beerdigt ist und sein Grab uns schützt, weil der Berg unter dem Tabou steht!
– Unter dem Tabou?
– Ja, meine Freunde! Eben deshalb habe ich mich auch hierher geflüchtet, wie in eine jener Freistätten des Mittelalters.
– Gott ist mit uns!« rief Lady Helena aus und hob die Hände gen Himmel.
Wirklich stand der Berg unter dem Tabou, und durch diese Art Heiligsprechung entging er dem Angriffe der abergläubischen Wilden.
Hiermit war das Wohl und Wehe der Flüchtlinge zwar noch nicht besiegelt, aber es war doch eine kleine Hilfe, aus der sie Nutzen zu ziehen gedachten.
Glenarvan sprach vor unsäglicher Erregung kein Wort, und der Major senkte den Kopf mit höchst zufriedener Miene.
»Und nun, meine Freunde, wenn diese Tölpel unsere Geduld auf die Probe zu stellen gedenken, sollen sie sich täuschen. Noch vor Verlauf zweier Tage werden wir vor den Angriffen dieser Schurken sicher sein.
– Wir werden fliehen, sagte Glenarvan, aber wie?
– Das weiß ich jetzt nicht, erwiderte Paganel; genug, wir fliehen Alle zusammen.«
Jetzt wollte Jeder die Abenteuer des Geographen erfahren. Sonderbarer Weise mußte man dem sonst so redseligen Manne die Worte fast abnöthigen, denn nur ausweichend stand er den Fragen seiner Freunde Rede.
»Meinen Paganel haben sie mir vertauscht!« dachte Mac Nabbs.
Wirklich war die Erscheinung des Gelehrten gar nicht mehr dieselbe. Er wickelte sich sorgsam in seine weite Phormiumhülle und schien neugierige Blicke zu fürchten. Sein verlegenes Benehmen, sobald von ihm die Rede war, entging Keinem, doch Niemand zeigte, daß er es bemerkte. Drehte sich das Gespräch nicht um ihn, so gewann er seine altgewohnte Freundlichkeit wieder.
Seine Erlebnisse betreffend, theilte er, als sich Alle um ihn am Fuße des Grabes gesetzt hatten, Folgendes mit:
Nach dem Tode Kara-Tété’s machte sich Paganel, ebenso wie Robert, das Gewühl der Eingeborenen zu Nutze und entsprang aus dem Pah. Aber minder glücklich, als der junge Grant, lief er spornstreichs in ein Maorilager. Dort befehligte ein hübsch gewachsener Häuptling von intelligentem Aussehen, der offenbar allen Kriegern seines Stammes überlegen war. Derselbe sprach vollkommen englisch, und begrüßte ihn, indem er seine Nasenspitze an der des Geographen rieb.
Paganel fragte ihn, ob er sich hier als Gefangener zu betrachten habe, oder nicht. Da er aber bemerkte, daß er auf Schritt und Tritt sehr höflich von dem Häuptling begleitet wurde, wußte er bald, woran er war.
Dieser Häuptling, Namens »Hihy«, das heißt »Sonnenstrahl«, war kein böser Mensch. Die Brille und das Fernrohr Paganel’s stellten diesen in seinen Augen sehr hoch, und er versicherte sich seiner Person vollständig, nicht nur durch seine Wohlthaten, sondern auch durch gute Phormiumstricke, vorzüglich in der Nacht.
Drei ganze Tage dauerte das so fort. Wurde Paganel unterdessen gut oder schlecht behandelt? »Ja und Nein«, sagte er selbst, ohne sich darüber weiter auszulassen. Kurz, er war Gefangener und abgesehen von der angedrohten Todesstrafe, erschien ihm seine Lage beneidenswerther, als die seiner unglücklichen Freunde.
Zum Glück gelang es ihm, während einer Nacht seine Bande zu durchnagen und zu entfliehen. Von fern hatte er der Beerdigung des Häuptlings beigewohnt; er wußte, daß diese auf dem Maunganamu stattgefunden, und der Berg dadurch den Schutz des Tabou erlangt hatte. Dorthin strebte er zu entkommen, da er seine noch im Lande
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