Die Kinder des Ketzers
machte ein unbehagliches Gesicht. «Die Agenten des Königs? Des französischen Königs, meinst du? Weißt du, dass Crestin glaubt, hinter dem Unternehmen Ohneberg steckten deutsche Spione?»
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Sébastien machte ein unbehagliches Gesicht. «Nimmt ungeahnte Dimensionen an, die Angelegenheit. Langsam würde es mich nicht mehr groß erstaunen, wenn der kleine Navarra recht hätte und Trostett von den Engländern gemeuchelt worden wäre.»
«Warte mal!» Fabiou kaute auf seiner Unterlippe herum. «Du hast doch gesagt, dass sich die Handlungen der Bruderschaft immer wieder auch gegen die französische Krone gerichtet haben. Und wenn Trostett ein deutscher Spion gewesen ist, war er schließlich auch ein Feind der Franzosen. Wäre es da nicht denkbar, dass sie zusammengearbeitet haben?»
«Könntest du das Wort ‹Franzosen› etwas weniger despektierlich aussprechen?», maulte Sébastien gekränkt.
«Ist doch egal!» Fabiou wedelte mit beiden Armen wie sonst nur Maria Anno.
«Du meinst, Carfadrael hätte mit einem Spion der Deutschen paktiert? Aber das wäre ja… Verrat!»
Fabiou hob die Achseln. «Aus deiner Sicht, ja. Aber wenn Carfadrael sich dem französischen König nicht verpflichtet fühlte, und davon müssen wir ausgehen, nach dem, was wir über ihn wissen…»
«Trotzdem!» Sébastien schüttelte heftig den Kopf. «Die Deutschen! Die doch seit Jahren nur auf eine Gelegenheit warten, uns zu schlucken! Er kann doch nicht ernsthaft geglaubt haben, dass er der Provence damit etwas Gutes tut!»
Fabiou wiegte bedächtig den Kopf hin und her. «Es gibt durchaus Leute, die meinen, als die Provence noch zum Reich gehörte, wäre es uns deutlich besser gegangen. Wir waren eine selbständige Grafschaft, der deutsche Kaiser war weit und hat uns im Prinzip machen lassen, was wir wollten…»
«Ja, damals. Aber… Jesus, das waren doch noch völlig andere Zeiten! Seit Charles V. haben die Deutschen doch in ihrem gesamten Machtbereich den starken Mann markiert. Ich sag’ nur spanische Niederlande. Der Kaiser kompensiert seinen innenpolitischen Machtverlust, indem er in den abhängigen Gebieten die Keule schwingt!»
Fabiou hob die Schultern, er war politisch nicht ausreichend bewandert, um bei dieser Diskussion mithalten zu können. «Mög568
lich», sagte er. «Aber genau so möglich, dass Carfadrael das nicht bewusst war.»
Sébastien seufzte tief. Dass irgendjemand im französischen Machtbereich mit den Deutschen paktiert haben sollte, hatte seinem Weltbild einen herben Schlag versetzt. «Na gut, von mir aus… Carfadrael und die Deutschen haben also gemeinsame Sache gemacht. Und die Deutschen, beziehungsweise Trostett, haben Carfadrael hängen lassen, und daraufhin haben Agenten von König François Carfadrael abserviert. Schön. Aber was hat das alles mit unseren Morden zu tun?»
«Ein schlechtes Gewissen», sagte Fabiou nachdenklich.
«Was?»
«Trostett hatte ein verdammt schlechtes Gewissen, weil er ihn im Stich gelassen hat.»
«Aber warum denn? Carfadrael konnte ihm doch völlig egal sein!»
«Warum kann ich ihn nicht vergessen? So viele haben wir verraten, es gehört zum Geschäft, es war mir doch auch sonst egal», zitierte Fabiou. «Ja, warum? Warum können sie alle Carfadrael nicht vergessen?» Er seufzte tief. «Wenn ich daran denke, dass ich wochenlang über Carfadrael nachgerätselt habe, nur um herauszufinden, dass ihn abgesehen von Bruder Antonius und meinem Stiefvater offenbar ganz Ais kennt…»
«Eines leuchtete mir aber weniger ein denn je», meinte Sébastien nachdenklich.
«Und zwar?»
«Das Buch. ‹Utopia›.»
«Wieso, es passt doch», widersprach Fabiou. «Trostett bezeichnet die Quadriga und damit die Bruderschaft als eine Gruppe von Utopisten. Und in ‹Utopia› finden wir einen Eintrag, der offensichtlich von den Mitgliedern der Bruderschaft herrührt.»
«Das schon. Aber nach dem, was ich in den letzten zwei Tagen gehört habe, war Oppède derjenige, der die Bruderschaft am eifrigsten verfolgt hat. Wie kann es dann sein, dass dieser Eintrag sich in seinem Buch befand?»
Fabiou fand keine Zeit zu antworten, denn in diesem Moment wurde an die Tür geklopft. Es war ein Diener von Alexandre de 569
Mergoult. Er brachte die Nachricht, dass sein Herr am kommenden Donnerstag, den 2. Juni, ein Fest in seinem Stadthaus plane und die jungen Herrschaften dazu in aller Form und Höflichkeit einlade.
***
«Ich gehe nicht zu dieser dummen Feier, ich bin doch nicht lebensmüde!»
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