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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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das von Räubern entführt wurde, aber dann kam der junge Ritter und rettete sie und ritt mit ihr davon, in ein neues Leben, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Sie spürte die Wärme von Couvencours Körper durch den Seidenstoff ihres Kleides, spürte seinen Atem, wie er in ihrem Nacken die Haare bewegte, roch seinen Geruch, ein naher, Vertrauen einflößender Geruch, lehnte sich gegen die Arme, die die Zügel hielten, er war schlank gebaut, beinahe schmächtig, doch unter den Ärmeln seines Wamses spielten kräftige, geschmeidige Muskeln. Nie zuvor war sie einem Mann, der nicht zu ihrer Familie gehörte, so nahe gewesen. Ich schwebe, dachte sie. Nein, ich bekomme Kopfschmerzen.
    Vor ihr drehte sich ihre Mutter alle paar Sekunden im Sattel um, warf einen scharfen Blick auf ihre Tochter und den jungen Mann, der sie in seinen Armen hielt, offensichtlich schwer mit der Frage beschäftigt, inwieweit diese unschickliche Nähe zu einem fremden Mann sich negativ auf die Tugend ihrer Tochter auswirken könnte, und wann immer sie sich umdrehte, spürte Cristino, wie ihr Körper sich versteifte, wie sie von Arnac de Couvencour abrückte, versuchte, diese unfassbare Nähe zu ihm zu vertuschen. Und jedes Mal sehnte sie sich nach und fürchtete sich vor dem Moment, in dem ihre Mutter ihren Blick wieder nach vorne wandte, und sie sich zurücksinken lassen konnte, gegen seinen warmen, verwirrenden Körper.
    «Hattet Ihr Angst vorhin?» Sie wandte sich um. Erstmals sah sie ihm direkt ins Gesicht, schmal war es, jugendlich, bartlos, noch mehr das Gesicht eines Knaben als das eines Mannes. Auch seine Stimme war noch beinahe knabenhaft. Es war vor allem die Kleidung, die nicht mehr die eines Kindes war, die ihn erwachsen wirken ließ, um Jahre reifer als zum Beispiel Fabiou, der Degen an seiner Seite, der breitkrempige Hut auf seinem Kopf. Und die Augen. Schwindelerregende Augen. Man konnte nicht länger als ein paar Sekunden hineinsehen in diese Augen, ohne das Gefühl zu bekommen, in eine schwarze Tiefe zu stürzen. Rasch wandte sie den Blick wieder nach vorne.
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    «Als diese Männer Euch entführten, meine ich», ergänzte Arnac de Couvencour erklärend. Im Gegensatz zu seinen Augen ging von seiner Stimme etwas unglaublich Beruhigendes, ja fast Vertrautes aus.«Angst?»IhreStimmehattenochimmernichtganzdenWegzu ihr zurückgefunden. «Na ja – eigentlich nicht. Irgendwie… war es nicht wirklich genug.» Sie lachte auf, Mutters bewährtes Bin-ichnicht-ein-Dummerchen-Lachen. «Das ist albern, was ich da sage, nicht wahr?»
    «Nein, wieso?» Sie spürte sein Achselzucken hinter sich. «Es ist oft so. Zum Glück. Es gibt einem die Möglichkeit, klar zu denken.»
    Eine seltsame Bemerkung. Sie wusste nicht, wie darauf reagieren, und flüchtete sich in einen Themawechsel. «Warum habt Ihr den Räuber vorhin fliehen lassen?»
    «Hättet Ihr gewünscht, dass ich ihn töte?», fragte seine Stimme in ihrem Rücken.
    Cristino lächelte kokett. «Hättet Ihr es denn getan, wenn ich es gewünscht hätte?»
    «Nein.»
    «Und warum nicht?»
    «Wartet mal… ich glaube, da gibt es so eine Bibelstelle… du sollst nicht töten, oder so ähnlich…»
    «Aber das war ein Verbrecher!», widersprach Cristino.
    «Oh – heißt die Bibelstelle vielleicht doch eher, du sollst niemanden töten, mit Ausnahme der Verbrecher?» Sie drehte sich um. Gott, diese Augen! «Meine junge Dame, könnt Ihr mir einen Grund nennen, warum ich ihn hätte töten sollen, wo es doch auch so ging? Um vor Euch zu prahlen, oder was?»
    Sie antwortete nicht gleich. Er war seltsam, wirklich. Ganz anders als die übrigen jungen Männer, die sie kannte, wie Armant de Mauvent zum Beispiel.
    «Aber… wie die Barouno sagte, wäre es nicht Eure Pflicht gewesen, ihn der Justiz zu…»
    «Meine Güte», fiel Couvencour ihr ins Wort, «was steigert ihr euch eigentlich alle in einen Hass gegen diese Leute hinein? Die hatten doch bloß Hunger!»
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    Ungläubig starrte sie ihn an, doch sein Blick ging an ihr vorbei, seine schwarzen Augen starrten nach vorne, und sie hörte Claudia laut aufjubeln, und Arnac de Couvencour sagte: «Wir sind da.»
    Sie waren da, in der Tat. Da waren die Kutschen, die Pferde, die Wagen, die gefällten Bäume, die die Räuber benutzt hatten, um sie in die Falle zu locken. Da war Loís, der ihnen entgegengestürzt kam, nur mit einem Holzknüppel bewaffnet, doch mit einem Gesichtsausdruck, als ob er es so mit sämtlichen Räubern des

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