Die Kinder vom Teufelsmoor
sehr leicht waren. Unterdessen waren ihre kleinen Geschwister nachgekommen. »Guckt mal«, rief Birgit ihnen entgegen, »die beiden machen Hochzeit!« Und sie stellte eine alte Dame mit unzählig vielen Falten im Gesicht neben einen Jüngling in weißen Shorts, der einen Tennisschläger über der Schulter trug. »Ob er ihr wohl einen Kuß gibt?« »Klar!« rief Walter. »Das muß er doch, wenn er sie hochzeitet. Das müssen sie alle. Gustav Jaschke hat seine Frau auch ein Kuß gegeben, damals, das hab' ich selber gesehen. Das war inne Kirche.« Rena schloß die Ateliertür hinter sich und setzte ihre Katze auf den Boden.
»Ich suche mir einen jungen Mann aus, wenn ich heirate«, sagte sie, »einen König oder so was. So 'n alten Opa mag ich nicht.« Walter marschierte auf einen Herrn zu, der am Tisch saß und frühstückte. Sein Kopf war genauso kahl und rund wie das Ei, das vor ihm im Eierbecher stand.
»Hier«, rief er, »das ist bestimmt ein König, den kannst du küssen!« Birgit kicherte. Aber Rena wehrte ab.
»Ein König hat eine Krone auf«, sagte sie, »die ist aus Gold und glänzt.« Willy, der sich auf Knien und Händen fortbewegte und darum seine Augen mehr auf den Fußboden als auf die Wände richtete, fand in diesem Bereich auch einiges, was ihn fesselte. Da war zum Beispiel ein Eimer, in dem viele Pinsel steckten, dicke und dünne, schmale und breite. Darauf ließ sich wunderbar lutschen, und wenn man sie heftig durch die Luft schwang, konnte man Birgit, Rena und Walter damit naßspritzen. Gleich daneben lag ein buntes Brett mit einem Loch. Das klebte so schön an den Fingern, und wenn man es gegen die Brust drückte, hielt es sich von allein fest und fiel nicht herunter. Und dann waren da so viele Tuben. Eine von ihnen war offen. Aus der quoll rote Zahnpasta, die ganz abscheulich schmeckte. Willy spuckte und prustete.
Rena, die dadurch auf ihn aufmerksam wurde, riß ihm die Tube so heftig aus der Hand, daß die Zahnpasta in einem langen Strahl herausfuhr und sich wie ein dicker Regenwurm um ihren Fuß ringelte. »Mußt doch nicht, Willy!« rief sie. »Das ist Farbe für Onkel Oskars Bilder.« Sie versuchte die Farbwurst mit den Fingern von ihrem Strumpf zu entfernen, aber es gelang ihr nicht. Die rote Farbe machte sich auf der grauen Wolle breit und bildete einen schönen Kontrast. Mit einem Lappen, den sie neben den Tuben fand, verwischte sie das Ganze und kümmerte sich dann nicht weiter darum. Auch daß ihre Finger dabei rot geworden waren, störte sie nicht. Sie hatte nämlich plötzlich eine Idee, wie man sich hier oben unter dem gläsernen Dach auf sehr lustige Weise beschäftigen konnte. Mit geschickten Fingern suchte sie unter den Tuben eine mit gelber Farbe heraus und ging mit leuchtenden Augen zu dem Glatzkopf hinüber, der noch immer mit demselben Gesichtsausdruck vor seinem Frühstücksei saß. »So«, sagte sie, »nun kriegst du eine Krone, dann bist du wirklich ein König!« Damit drückte sie dem Mann soviel Farbe auf den blanken Kopf, bis die Tube leer war. Mit Zeigefinger und Daumen verteilte sie den Farbmatsch nach oben und unten und links und rechts, so daß tatsächlich eine Art Krone entstand, eine roh zurechtgehauene allerdings, die nicht von einem Gold-, sondern von einem Grobschmied angefertigt zu sein schien.
Walter und Birgit staunten über das gelungene Werk und machten sich, Renas Beispiel folgend, ohne Zögern daran, die andern Gestalten ebenfalls zu verschönern. Walter riß Willy einen Pinsel aus der Hand und malte der alten Dame mit den vielen Falten einen dicken roten Mund und hübsche rosa Wangen. Dem jungen Tennisspieler aber übermalte er die blendendweißen Zähne mit schwarzer Farbe und verwandelte ihn so in einen zahnlosen Greis. »Jetzt passen sie besser zusammen, wenn sie hochzeiten«, sagte er. Willy war es inzwischen mehr zufällig als aus Geschicklichkeit gelungen, Renas Katze eine ganze Tube Deckweiß auf das schwarze Fell zu schmieren. Das Tier mochte das zwar nicht und bemühte sich mit halsbrecherischen Verrenkungen, die Farbe wieder abzulecken, aber so hoch reichte die kleine Zunge nicht. Willy quietschte vor Vergnügen.
Birgit war es dann, die den Einfall hatte, auch lebenden Gesichtern mit den leuchtenden Tubenfarben einen anderen Ausdruck zu geben. Sie tupfte dem kleinen Willy schwarze Bartstoppeln ins Gesicht und malte ihm kräftige Augenbrauen und eine grüne Nase. Darauf wurde sie von Walter in Arbeit genommen, der ihr blaue Falten auf die
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