Die Kinder Von Eden : Roman
stinkfaul, und wenn‘s kritisch wurde, schwänzte er einfach den Unterricht.
In späteren Jahren hatte er einen blühenden Spirituosengroßhandel betrieben, ohne jemals auch nur einen einzigen Brief zu schreiben. Er wickelte alles übers Telefon oder persönlich ab. Bevor er sich eine Sekretärin leisten konnte, die Gespräche für ihn vermittelte, kannte er Dutzende von Telefonnummern auswendig. Stets wußte er bis auf den letzten Cent genau zu sagen, wieviel Geld in der Kasse und wieviel auf dem Bankkonto war. Legte ihm ein Vertreter einen Bestellschein vor, meinte er schlicht: »Ich sage Ihnen, was ich brauche, und Sie füllen Ihr Formular aus.« Mit einundzwanzig hatte er bereits die erste Million verdient. Als er schließlich Star kennenlernte und sich der Kommune anschloß, war alles schon wieder futsch gewesen – was freilich nicht daran lag, daß er Analphabet war, sondern weil er seine Kunden betrogen, keine Steuern gezahlt und sich von Gangstersyndikaten Geld geborgt hatte.
So schwer konnte es also nicht sein, sich dieses Versicherungsformular von irgendwem ausfüllen zu lassen.
Er setzte sich auf einen Stuhl vor Dianas Schreibtisch und lächelte Lennys Sekretärin an. »Siehst ein bißchen müde aus heute morgen, meine Liebe«, sagte er.
Diana seufzte. Sie war eine rundliche Blondine in den Dreißigern, mit einem Hilfsarbeiter verheiratet, und hatte drei Kinder im Teenageralter. Plumpe Anmache von Männern, die in den Trailer kamen, wußte sie scharfzüngig zu kontern, doch Priest hatte beobachtet, daß sie höflichem Charme gegenüber nicht unempfänglich war. »Ich hab‘ heute morgen so viel zu tun, Ricky! Ich weiß gar nicht, wo mir der Kopf steht.«
Priest spielte den Enttäuschten. »Das ist aber schade. Ich hatte so gehofft, du könntest mir helfen.«
Sie zögerte, dann lächelte sie schuldbewußt. »Bei was denn?« »Ich hab‘ ‚ne richtige Sauklaue und wollte dich bitten, dieses Formular für mich auszufüllen. Tut mir echt leid, dich damit zu nerven, wo du doch gerade so viel um die Ohren hast.«
»Na schön, eine Hand wäscht die andere …« Diana deutete auf einen Stapel mit sorgfältig beschrifteten Kartons, der an der Wand aufgeschichtet war. »Ich helfe dir bei deinem Papier, und du trägst mir dafür diese Unterlagen in den grünen Chevy, der draußen vor der Tür steht.«
»Mit Vergnügen«, sagte Priest dankbar und gab ihr das Formular. Diana warf einen Blick darauf. »Du fährst den seismischen Vibrator?«
»Ja. Mario hatte Heimweh und ist nach El Paso abgedüst.«
Sie runzelte die Stirn. »Das paßt aber gar nicht zu ihm.«
»Stimmt. Ich hoffe bloß, ihm fehlt sonst nichts.« Sie zuckte mit den Schultern und nahm ihren Kugelschreiber zur Hand. »So, zuerst mal brauchen wir deinen vollen Namen, das Geburtsdatum und den Geburtsort.«
Priest gab ihr die gewünschten Informationen, und Diana füllte die dafür vorgesehenen Zeilen aus. Alles war ganz einfach. Warum bin ich bloß beinahe schon wieder in Panik geraten? fragte er sich. Ich hatte ganz einfach mit dem Formular nicht gerechnet. Lenny hat mich überrascht, und im ersten Moment habe ich der Furcht nachgegeben.
Er war erfahren im Umgang mit seiner Schwäche und wußte sie gut zu verbergen. Er benutzte sogar Bibliotheken. Auf diese Weise war er auch zu seinen Informationen über seismische Vibratoren gekommen: In der Zentralbibliothek im Herzen von Sacramento,einer großen, geschäftigen Institution, wo sich vermutlich nie jemand an sein Gesicht erinnern würde, war er zum Auskunftsschalter gegangen und hatte erfahren, daß sich die naturwissenschaftliche Abteilung oben im zweiten Stock befand. Dort hatte ihn beim Anblick der langen Regalreihen und der vielen Menschen, die vor Computerbildschirmen saßen, zunächst wieder die Angst gepackt. Dann entdeckte er eine freundliche Bibliothekarin, die ungefähr in seinem Alter war, und sprach sie an: »Ich suche nach Informationen über seismische Untersuchungen. Können Sie mir da vielleicht weiterhelfen?« Er schenkte ihr ein herzliches Lächeln.
Die Frau hatte ihn zu dem entsprechenden Regal geführt, ein Buch herausgegriffen und nach einigem guten Zureden auch das entscheidende Kapitel gefunden. »Ich interessiere mich dafür, wie diese Schockwellen erzeugt werden«, hatte er erklärt. »Ob darüber etwas in diesem Buch drinsteht?« Gemeinsam mit ihm blätterte die Bibliothekarin das Buch durch. »Da gibt es offenbar drei Möglichkeiten«, sagte sie. »Unterirdische
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