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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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aus ihnen dumpfe Nihilisten, die in der Sonne sitzen, Däumchen drehen und vor lauter Langeweile und Antriebslosigkeit sterben.«
    »Das ist eine ziemlich böse Theorie, Doktor.«
    »Sie haben mit dem Thema angefangen. Ich habe es aus dem Weg geräumt. Ich werde jetzt auf ein anderes Thema kommen. Sie haben vielleicht eine gewisse gespannte Atmosphäre in diesem Haus bemerkt. Sogar hinter ihren idiotischen Spiegelgläsern. Die Sie jetzt ruhig abnehmen können. Sie sehen damit keineswegs aus wie Cary Grant.«
    Ich nahm sie ab. »Ich habe gar nicht mehr dran gedacht.«
    »Die Polizei ist hier gewesen, Mr. Marlowe. Ein gewisser Leutnant Maglashan, der Clausens Tod untersucht. Er würde Sie gerne kennenlernen. Soll ich ihn mal anrufen?
    Er würde sicher gleich wiederkommen.«
    »Na schön, rufen Sie ihn an«, sagte ich. »Ich bin hier nur grade vorbeigekommen - auf meinem Weg zum Selbstmord.«
    Seine Hand bewegte sich zum Telefon, aber sie wurde durch die magnetischen Kräfte des Papiermessers abgelenkt. Er griff wieder danach. Anscheinend konnte er es nicht lassen.
    »Damit könnte man einen Menschen töten«, sagte ich.
    »Ohne weiteres« - er lächelte ein wenig.
    »Vier Zentimeter hinten in den Hals, genau auf die richtige Stelle unter dem Hinterhauptbein.«
    »Mit einem Eisdorn ginge es besser«, sagte er. »Vor allem mit einem kurzen, entsprechend zurechtgefeilten. Er würde sich nicht biegen. Wenn man das Rückenmark nicht träfe, würde man nicht viel Schaden anrichten.«
    »Man muß also medizinisch ein bißchen beschlagen sein?« Ich zog eine zerdrückte alte Packung Camel raus und fummelte eine aus dem Cellophan.
    Er lächelte immer weiter. Sehr schwach und ziemlich traurig. Es war nicht das Lächeln eines Mannes, der Angst hat. »Das schadet nichts«, sagte er sanft. »Aber jeder einigermaßen geschickte Mensch könnte sich die Technik in zehn Minuten aneignen.«
    »Orrin Quest hat ein paar Jahre Medizin studiert«, sagte ich.
    »Ich habe Ihnen gesagt, daß ich niemand mit diesem Namen kenne. «
    »Sicher, weiß ich. Und ich glaube Ihnen nicht.«
    Er zuckte die Achseln. Aber schließlich wanderten seine Augen immer wieder zu dem Messer.
    »Wir sind so ein paar Herzchen«, sagte ich. »Da sitzen wir und spulen den guten alten Dialog über den Schreibtisch herunter. Als ob wir sonst keine Sorgen hätten. Wo wir doch beide noch vor Dunkelheit im Kittchen sitzen werden.«
    Er hob wieder seine Augenbrauen. Ich fuhr fort:
    »Sie, weil Clausen Sie beim Vornamen genannt hat. Und vielleicht sind Sie der letzte gewesen, mit dem er geredet hat. Ich, weil ich lauter Sachen gemacht habe, die ein Privatdetektiv sich einfach nicht leisten kann. Verstecken von Beweismitteln, Verstecken von Information oder eine Leiche finden und nicht sofort mit dem Hut in der Hand bei diesen reizenden, unbestechlichen Polypen von Bay City zu erscheinen. Oh, ich bin unten durch. Aber heute nachmittag ist irgendein aufregender Geruch in der Luft.
    Irgendwie ist es mir egal. Oder vielleicht bin ich verliebt. Es ist mir einfach egal.«
    »Sie haben getrunken«, sagte er langsam.
    »Nur Chanel Nr. 5 und Küsse und den schweren Glanz von köstlichen Beinen und eine halbernste Einladung von tiefblauen Augen. Nur solche harmlosen Sachen.«
    Er sah trauriger aus als zuvor. »Frauen können einen Mann furchtbar schwach machen, nicht wahr?« sagte er.
    »Clausen.«
    »Ein hoffnungsloser Alkoholiker. Sie wissen wohl, wie Alkoholiker sind. Sie trinken, trinken und essen nichts. Und ganz allmählich mit dem Vitaminmangel kommen die Symptome des Deliriums. Man kann nur eines für sie tun.« Er wandte sich um und schaute auf den Sterilisator. »Spritzen, nichts als Spritzen. Ich komme mir schmutzig vor. Ich habe an der Sorbonne promoviert. Ich praktiziere zwischen schmutzigen kleinen Leuten in einer schmutzigen kleinen Stadt. «
    »Warum?«
    »Weil mir vor ein paar Jahren etwas passiert ist - in einer anderen Stadt. Fragen Sie nicht so viel, Marlowe.«
    »Er hat Sie beim Vornamen genannt.«
    »Bei Leuten aus gewissen Schichten ist das eine Gewohnheit. Vor allem bei früheren Schauspielern. Und früheren Gangstern.«
    »Ach«, sagte ich. »Weiter ist nichts dabei?«
    »Nichts.«
    »AISO, dann ist es nicht wegen Clausen, daß die Polypen Sie beunruhigen, wenn sie herkommen. Sie haben Angst wegen dieser anderen Sache, die früher mal woanders passiert ist. Oder ist es vielleicht Liebe?«
    »Liebe?« Er ließ das Wort langsam von der Zunge gleiten, als kostete

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