Die Klimafalle - die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung
Netz von Symbolen und Bedeutungen, mithin in der globalen Popkultur.
Al Gores „Unbequeme Wahrheiten“
Der zweite Nobelpreisträger im Jahr 2007 neben dem IPCC war der frühere US-Präsidentschaftskandidat Al Gore, der sich in großem Umfang innerhalb und außerhalb der USA im Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel engagiert hat. Als unermüdlicher Vortragsreisender zeigte er weltweit über tausend Mal eine Diashow, um auf Ursachen und Gefahren des Klimawandels hinzuweisen. Zugleich bildete er Legionen von Vermittlern aus, die seine Botschaft weiter in die Schulen, Kirchen, Gewerkschaften und Kindergärten tragen. Die Verfilmung seines Vortrages mit dem Titel „Eine unbequeme Wahrheit“ ist zu einem großen Publikumserfolg geworden, der bis heute weltweit in Schulen gezeigt wird und in einzigartiger Weise den medialen Klimadiskurs geprägt hat.
Diese erstaunliche Leistung gelang Al Gore mit einer Taktik, die er mit den heutigen Mega-Popstars teilt: Er ging auf Tournee rund um den Globus, er organisierte Mega-Events gemeinsam mit Rockstars, die für seine Sache eintreten, und es gelang ihm, die großen Mediennetzwerke dafür einzuspannen. Auf diese Weise entfaltete er eine flächendeckende Präsenz, und so war es damals auch für einen neugierigen Ethnologen möglich, eine Show dieses Reisenden in Sachen Klimawandel erleben zu dürfen.
So geschehen in Austin, Texas, wo Al Gore im Jahr seines Nobelpreisgewinns im örtlichen „Convention Center“ (wo zuvor im Jahr 2005 Flüchtlinge vor Hurrikan Katrina versorgt worden waren) Station machte. Vor der Halle standen die üblichen Broschürenverteiler: Tierschutzaktivisten, Abtreibungsgegner und religiöse Fanatiker. In der Halle erwies der Bürgermeister der Stadt Austin dem Gast seine Reverenz und verkündete stolz, dass auch Austin dem Netzwerk von amerikanischen Städten angehöre, die sich aus eigener Initiative klimaneutralen Zielen verpflichten, auch wenn die damalige Bush-Regierung dem Kyoto-Abkommen nicht beigetreten ist. Danach berichteten Teilnehmerinnen von den Kursen, die im Vorfeld der Veranstaltung in Austin stattgefunden hatten und in denen Freiwillige ausgebildet wurden, die Botschaft von der „unbequemen Wahrheit“ weiterzutragen. Im Gespräch mit solchen Freiwilligen stellte sich heraus, wie hochprofessionell diese Ausbildung ist und dass sie zu einem weltweit agierenden Netz von Aktivisten geführt hat.
Als Al Gore die Bühne im landesüblichen Outfit – Anzug und Cowboystiefel – betritt, ist sogleich klar, dass er keinen rein akademischen Vortrag zur wissenschaftlichen Grundlage des Klimaproblems halten wird, sondern auch als Showman auf der Bühne steht. Er beginnt mit auflockernden persönlichen Anekdoten: dass ihm auf dem Weg nach Texas in einem Café eine ältere Dame das Kompliment gemacht habe, er würde Al Gore so ähnlich sehen. Und dass er, der ehemalige Präsidentschaftskandidat, beim Wiedereintritt in dieUSA nach einer Auslandsreise seine Stiefel beim Sicherheitscheck am Flughafen habe ausziehen müssen wie jeder andere auch. Hinter ihm leuchtet der blaue Planet auf der Leinwand auf sowie ein Zitat aus der Genesis, kurz erhellt von einem Blitz – oder ist das nur Einbildung? Gore betont, dass er nicht missionieren, sondern nur die notwendigen Fakten zum Klimawandel auf den Tisch legen wolle, um unseren Kindern eine Zukunft auf diesem Planeten zu ermöglichen – einen anderen, sagt er, haben wir nicht.
Im Zentrum des Vortrags steht der wissenschaftliche Nachweis, dass der Klimawandel eine Realität und von Menschen verursacht ist. Al Gore erklärt in anschaulicher Form den Treibhauseffekt, und er listet in einer langen Folge von Slides auf, welche Folgen der Klimawandel haben kann, von der Zunahme extremer Wetterlagen über das Auftauen des Permafrosts, den Anstieg des Meeresspiegels, die mögliche Veränderung des Golfstroms und die Gefahren für die Artenvielfalt bis hin zu dem legendären (animierten) Eisbären, der einsam auf einer Scholle schwimmt. Der Anpassung an den Klimawandel aber räumt Al Gore fast keinen Platz ein. So muss der zuhörende Ethnologe zusehen, wie sein Forschungsgebiet an der norddeutschen Küste bei ansteigendem Meeresspiegel unter einer großen blauen Welle verschwindet, obwohl die dortigen Küstenbewohner ihre Küste sicherlich nicht ohne Gegenwehr aufgeben werden. Der frühe Al Gore betrachtete Anpassung noch als Sünde. Sie führt in seinen Augen dazu, dass Menschen das Übel des
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