Die Knochentänzerin
daz würfelspil, dar umbe daz er sêlen vil …
D as Haus schien sich von Prag wegzudrehen. Dass es hier, nahe der Stadt, die aus allen Nähten platzte, überhaupt so mutterseelenallein stehen durfte, war, wie uns Cosmas versicherte, allein dem Umstand zu verdanken, dass es auf Sumpfboden erbaut worden war. Man habe, so der Böhme, Pfähle in den Morast gerammt, Bretter darauf genagelt und damit das Fundament für ein schräges Bauwerk geschaffen, das zum einen Teil aus Holz, zum anderen aus Stein bestand. Während das Holz moderte, glänzte das Mauerwerk feucht, als sei es erkrankt und schwitze im Fieber.
»Einst gab es hier ein ganzes Dorf«, wusste Cosmas zu berichten, und seine Augen glänzten dabei. »Doch eines Nachts hat das Moor alles verschluckt, bis auf dieses Wirtshaus.«
Der Abend warf einen langen Schatten wie ein Netz über uns, das sich mehr und mehr zuzog, je näher wir der Spelunke kamen. Über schmale, schwankende Bretter, die im Sumpf schmatzten, erreichten wir das Haus, das nun umso mehr einem sinkenden Schiff glich. Ein Schild hing unter dem Dach, Cosmas deutete darauf und übersetzte:
»Was da steht, heißt:
Zum geblendeten Kreuzritter
.« Gleich darauf erklärte er den doppelten Sinn des Namens: »Noch nicht lange, da war dies eine Badstube, mit, man höre und staune, den schönsten Huren im ganzen Land. Der Wirt war ein heimgekehrter Kreuzritter, dem die Muselmanen ein glühendes Schwert vor die Augen gehalten hatten. Dies war ein Glück, erzählte er allen seinen Gästen, denn so musste er nicht mit ansehen, wie seine Gefährten von den Türken gepfählt wurden, einer nach dem anderen. Jedem Neuankömmling erzählte er diese Geschichte, und so hässlich und furchterregend er auch war, mit seinen verbrannten Augen und überhaupt der ganzen wilden, verkommenen Gestalt – so schön waren seine Huren. Deren Schönheit führte dazu, dass Kreuzritter aus dem ganzen Land kamen, mit ihren Kreuzern, Denaren, Goldgulden und Dicken Pragern. Geblendet von der Schönheit der Weiber ließen sie ihr ganzes Geld bei dem Blinden, der ein reicher Mann wurde und zunächst also sein Glück fand.«
»Zunächst?«, fragte ich, und Cosmas nickte.
»Ja. Denn es kam, wie es immer kommt. Kaum legt der Herrgott das Glück in die eine Waagschale, wirft der Teufel noch einen größeren Haufen Unglück in die andere.«
»Der Teufel?«
»Warte. Das ist noch nicht das Ende der Geschichte. Eines Nachts wollte der Wirt im Moor das eingenommene Gold und Silber verstecken …«
»Lass mich raten«, unterbrach William ihn, »er kam vom rechten Weg ab – kein Wunder, er konnte ja nichts sehen –, also versank er mit all seinem Geld …«
Cosmas lächelte fein und wiegte seinen Totenschädel hin und her, als wüsste er ein Geheimnis, das sonst niemand kannte. Schließlich erklärte er mit wissendem Blick: »Das sagen die einen. Doch insgesamt gilt wohl die alte Weisheit: Wer mit dem Teufel isst, braucht einen langen Löffel.«
William verdrehte die Augen. »Musst du immer in rätselhaften Bildern reden?«
»Nun, es heißt, der blinde Kreuzritter habe einen Pakt mit dem Leibhaftigen geschlossen – warum sonst hätten die Türken alle seine Gefährten gepfählt, ihn aber nur geblendet?«
»Nur …«
»Ja. Und die Schönheit seiner Huren, so heißt es, war zudem mit einem Makel behaftet …«
»Der gewesen wäre?«
»Unter den goldenen Dirnengewändern waren Schweife versteckt, weiterhin hatte eine der Huren einen Pferdefuß und wieder eine andere trug stets einen Turban, nur zu dem Zweck, ihre Hörner zu verbergen. In Wirklichkeit waren die Huren selbstverständlich, wie jeder ja auch ahnte, Gefährtinnen Luzifers …« Cosmas hielt seine Hand an Williams Ohr und flüsterte, so dass ich es nicht hören sollte: »Was selbstverständlich auch ihre außergewöhnlichen Liebeskünste erklärte.«
»Selbstverständlich. Und weiter?«
»Na ja«, erklärte Cosmas leichthin, »der Beelzebub holte natürlich den Wirt, als es an der Zeit war. Mitsamt seinem Gold und seinem Silber und dem Kupfer und dem ganzen Dorf als Dreingabe. Nur dieses Haus, seltsamerweise, ließ er stehen.«
»Gehen wir jetzt vielleicht auch mal hinein?«, fragte William. »Oder stehen wir hier draußen herum, um uns noch weitere Schauergeschichten anzuhören?«
Wenn es nach mir geht, dachte ich, so besteht kein Grund zur Eile. Von mir aus können wir gerne noch eine Weile hier draußen bleiben. Oder lieber doch nicht? Die Bretter, auf denen ich
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