Die Knopfmacherin
dazu zwingen, die Hände ruhig zu halten, als sie Grete beim Abräumen half.
»Nun geh schon«, sagte die Haushälterin, nachdem der Meister die Küche verlassen hatte. »Ich sehe dir doch an, dass du es kaum noch aushältst.«
»Aber Ihr …«
Grete winkte ab. »Ich mache das hier die ganze Zeit über alleine. Auch heute werde ich es schaffen. Geh du nur, du bist jung und sollst dich des Lebens freuen.«
»Ich danke Euch, Grete«, entgegnete Melisande errötend, warf sich dann ihren Mantel über und eilte nach draußen.
Neben dem Tor lehnte Bernhard und wartete auf sie.
»Was denkst du? Soll ich dich zur Mauer führen? Wo es die schlimmsten Schenken und Hurenhäuser gibt?«
Melisande schüttelte den Kopf. »Du hast den Meister doch gehört.«
»Aber sehen würdest du die Ecke schon gern, nicht wahr?«
Melisandes Wangen begannen zu glühen.
»Vielleicht kommen wir auf dem Weg nach draußen ja daran vorbei«, redete er weiter.
»Draußen?«
»Ich will dir den Auwald zeigen. Zu dieser Jahreszeit gehen Feen dort um.«
»Das glaubst du doch selbst nicht«, gab Melisande zurück. Jetzt gewann sie ihre alte Sicherheit wieder. Zwar war sie noch immer aufgeregt, doch sie hatte das Gefühl, die Verwirrung zumindest einigermaßen zu beherrschen.
»Ich werde es dir zeigen«, beharrte Bernhard. »Und wenn wir keine Feen sehen, dann wenigstens die Türme der Stadt. Es kann nicht schaden, wenn wir noch einmal am Altpörtel vorbeigehen.« Offenbar ahnte er, dass sie insgeheim noch immer darauf hoffte, Alina wäre dort eingesperrt.
»Also gut, dann gehen wir.« Melisande schritt voran durch das Tor, das Bernhard hinter ihnen verschloss.
Der Auwald wirkte wegen des ersten Raureifs wie ein verwunschener Wald aus einem Märchen. Die kalte Luft ließ Melisande frösteln, während sie den schmalen Weg entlanggingen.
Von hier aus hatten sie einen wunderbaren Blick auf die Stadtmauer und die Türme von Speyer. Bei ihrer Ankunft war Melisande gar nicht aufgefallen, wie viele Türme über die Stadtmauer ragten. Von weitem wirkte Speyer fast wie ein Nadelkissen.
»Sieh nur, das da ist der Totengräberturm«, erklärte Bernhard ihr. »Das Altpörtel kennst du ja schon. Und das hier ist der Salzturm.«
»Warum gibt es in Speyer so viele Türme?«
»Das musst du denjenigen fragen, der sie erbaut hat. Wahrscheinlich hat er geglaubt, dass sich die Stadt dann besser verteidigen lässt.« Bernhard zuckte die Schultern. »Wahrscheinlich hat man von dort oben eine gute Aussicht.«
Das brachte Melisande auf eine Idee. »Wie wär’s, wenn wir auf einen der Türme steigen und von dort nach Alina suchen?«
Bernhard presste die Lippen zusammen. »Ich glaube kaum, dass wir sie dann eher entdecken.«
»Aber wenn sie hier in der Stadt ist …« Die Worte erstarben in Melisandes Kehle. Sie wusste genau, was Bernhard durch den Kopf ging. Mit Sicherheit glaubte er, dass ihre Schwester nicht mehr am Leben war.
Beklommenes Schweigen machte sich breit.
»Vielleicht sollten wir besser zurückgehen«, sagte Melisande und wollte sich umwenden.
Da legte Bernhard ihr sanft beide Hände auf die Schultern. »Warte. Verzeih, wenn ich dich gekränkt habe.«
»Das hast du nicht«, gab Melisande zurück. »Es ist nur so …« Sie stockte, denn sie wollte nicht zugeben, dass sie mittlerweile selbst zweifelte.
»Gib die Hoffnung nicht auf«, sagte Bernhard überraschenderweise. »Du wirst deine Schwester eines Tages finden. Irgendwo. Wenn sie noch am Leben ist, wird Gott euch irgendwann zusammenführen.«
Auf einmal waren sich ihre Gesichter so nahe, dass sie nur einen Schritt hätten machen müssen, um einander zu berühren. Ein seltsames Feuer loderte in Bernhards Augen, ein Ausdruck, den Melisande noch nie zuvor gesehen hatte. Obwohl sie vor Aufregung kaum zu atmen wagte, hatte sie nicht die Kraft zurückzuweichen. Sagen konnte sie auch nichts, denn auf einmal war ihre Kehle wie ausgetrocknet.
Du hättest nicht herkommen sollen, wisperte eine Stimme in ihrem Hinterkopf. Doch seltsamerweise gab es in diesem Moment keinen Ort, an dem sie lieber gewesen wäre.
Als Bernhard ihr sanft übers Haar strich, schloss sie instinktiv die Augen. Plötzlich schob sich Kälte zwischen sie, und als sie die Augen wieder öffnete, merkte sie, dass Bernhard einen Schritt zurückgetreten war. In seinen Augen lag noch immer dieser seltsame Ausdruck, aber es schien, als versuchte er sich zu zügeln.
Auf einmal knackte etwas neben ihnen. Melisande zuckte
Weitere Kostenlose Bücher