Die Knopfmacherin
begegnet. Aber vielleicht lohnt sich dein Können in anderer Weise für dich.«
Melisande blickte den Mann unverständig an. Was wollte er von ihr?
Mit einem überlegenen Lächeln beantwortete er ihre ungestellte Frage. »Ob du wohl ein Bildnis zeichnen kannst, nur nach den Worten eines Augenzeugen?«
»Ich verstehe nicht ganz, Herr«, entgegnete Melisande, während sie sich über das nach wie vor kreidebleiche Gesicht des zweiten Reisenden wunderte.
»Anders ausgedrückt: Wenn mein Freund hier dir das Gesicht eines Mannes beschreibt, könntest du es dann zeichnen?«
»Das Gesicht eines Mannes, den ich noch nie zuvor gesehen habe?«, hakte Melisande ungläubig nach.
»Ganz recht.« Der Mann tippte auf den Lederbeutel an seiner Seite, der prall gefüllt war. »Es soll dein Schaden nicht sein.«
Melisande schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Herr, aber ich glaube nicht, dass ich dazu in der Lage bin. Ich hatte schon große Mühe, mir das Gesicht meiner Schwester vorzustellen, obwohl sie mir vertrauter ist als jeder andere Mensch auf dieser Welt.«
»Und wenn du damit dem Bischof einen großen Gefallen tun könntest?«
Unwillkürlich wich Melisande einen Schritt zurück. Sie hatte sich also doch nicht getäuscht. Diese Männer standen im Dienst von Ludwig von Helmstatt.
»Der Mann, den du zeichnen sollst, ist Joß Fritz«, riss der Fremde sie aus ihren Gedanken. »Hast du diesen Namen schon einmal gehört?«
Melisande schüttelte den Kopf, zwang sich aber, nicht noch weiter zurückzuweichen. Sicher dachten die Männer sonst, dass sie mit dem Bauernführer gemeinsame Sache machte.
»Bist du dir sicher?«, fragte nun der andere, der die ganze Zeit über mit bleicher Miene und abwesendem Blick geschwiegen hatte.
»Ich habe noch nie von einem Mann dieses Namens gehört«, antwortete Melisande mit so viel Überzeugungskraft, wie sie nur aufbringen konnte. Dabei wäre sie vor Aufregung fast gestorben.
»Das ist bedauerlich. Wie steht es denn nun um deine Zeichenkunst? Willst du es nicht wenigstens versuchen?«
Melisande schüttelte heftig den Kopf, während der Pulsschlag in ihren Ohren sämtliche Geräusche um sie herum übertönte. »Ich fürchte, dazu bin ich nicht gut genug«, presste sie hervor, dann fiel ihr noch ein anderes Argument ein, das wesentlich überzeugender wirkte. »Außerdem möchte ich es nicht in Kauf nehmen, dass Ihr denjenigen, den Ihr sucht, mit einem rechtschaffenen Menschen verwechselt. Es ist mir wirklich nicht leichtgefallen, das Bildnis zu zeichnen. Es ist mir nur deshalb so gut gelungen, weil es meine Schwester darstellt.«
Der Fremde knirschte hörbar mit den Zähnen. Die Miene seines Nebenmannes hellte sich dagegen deutlich auf.
»Nun gut, dann sollte ich dich wohl nicht mehr länger aufhalten, mein Kind«, sagte der Mann und gab ihr die Zeichnung zurück.
Melisande senkte die Lider, und als sie sich umwandte, spürte sie den Blick des Mannes zwischen ihren Schulterblättern. Ob er weiß, dass ich lüge? Dass ich das Gesicht von Joß Fritz beinahe besser vor Augen habe als das von Alina?
»Lass uns gehen«, raunte Melisande Bernhard zu. Die Reiter standen immer noch vor dem Tor und rührten sich nicht von der Stelle.
»Was wollten die Männer von dir?«, fragte der Jüngling.
»Sie haben mich gefragt, ob ich den Anführer der Rebellen für sie zeichnen würde.«
Bernhard machte große Augen. »Was?«
»Offenbar sind sie noch immer auf der Suche nach ihm.«
»Aber wenn sie …« Der Knopfmachergeselle erbleichte. »Wenn das die Männer waren …«
Melisande schüttelte den Kopf. »Das waren sie nicht.« Dass sie selbst nicht mehr ganz sicher war, verbarg sie, indem sie sich abwandte, als sie Bernhard am Ärmel mit sich zog.
Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her und kümmerten sich nicht um die Passanten. Als sie in eine menschenleere Gasse einbogen, begann Melisande: »Das Schlimme ist nur, dass ich wirklich weiß, wie Joß Fritz aussieht. Obendrein hatte ich vor kurzem das Gefühl, ihn in Speyer gesehen zu haben.«
»Du hast ihn gesehen?« Bernhard sah sie entgeistert an.
Melisande senkte den Kopf. »Ich bin mir nicht sicher.«
»Wieso ist dir denn nicht in den Sinn gekommen, ihn dem Bischof zu melden?«
Melisande schüttelte den Kopf. »Wie gesagt, ich war mir nicht sicher. Und selbst wenn, hätte ich ihn nicht verraten.«
»Wieso nicht?«
»Weil er mir gesagt hat, wo ich Alina finden kann. Er hat nämlich die Männer beobachtet, die sie
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