Die Königin ist tot: Roman (German Edition)
mit dem kinderpornographischen Material endlich detailliert schilderte, und vor allem, wie es dazu kam:
Eines Morgens hob der Jägermeister den Blick zu spät, als ich vom Laufen kam und ihn vor einem geöffneten Garagentor in seinem Auto sitzen sah und mich noch fragte, was er so allein dort trieb; bevor er es schaffte, die Bilder mit geübter Geste und unter tadelndem Zungenschnalzen wegzuwischen (in den Ablagebereich unter dem Armaturenbrett), hatte ich die Szene am Smartphonebildschirm schon entdeckt, und auch in der verzerrten Darstellung des Seitenspiegels war sie unschwer zu entschlüsseln.
Als ich Duncan davon erzählte, verließ er wortlos die Küche, ich hörte die Tür zuschlagen: dieses Geräusch suggeriert immer eine gewisse Endgültigkeit, vielleicht, weil das Schwingen des Türblatts den Knall vorwegnimmt. Dabei ist es mit dem Türzuschlagen nicht getan, nichts ist getan damit, um genau zu sein, und ich wusste nicht einmal, was ich mir eigentlich von Duncan erwartete. Er tauchte erst nach dem Frühstück wieder auf, das wir fast schon auf der Terrasse einnehmen hätten können, doch in Hinblick darauf, was sich draußen eventuell abspielen würde, war es bei der Küche geblieben; die Kinder waren längst fertig und gingen ihren Wochenendbeschäftigungen nach, noch nicht im Freien, wo die Spuren ihrer Spiele später stillschweigend von der Gärtnerin eliminiert werden könnten. Ich hatte mit Temperaturüberlegungen argumentiert, und sie hatten sich nach einem kurzen skeptischen Blick, so kam es mir vor, in den Keller verzogen. Ich wartete auf Duncans Rückkehr, wofür ich mich hasste, während ich so tat, als sei das Festhalten der Tasse über dem Zeitungstitelblatt mit dem Standbild eines Mannes, der in schlechter Qualität gefilmt worden war, eine zeitfüllende Beschäftigung. Vielleicht war die Grobkörnigkeit noch betont worden, um die Illegalität der gezeigten Handlungen (nichts weiter Auffälliges erkennbar: der Mann saß an einem Tisch) zu verdeutlichen; über den Körper des Mannes, die Gläser und die Tischdecke gleichermaßen liefen einebnend die Buchstaben des mitgeschnittenen Gesprächs, das einen Bestechungsvorgang dokumentierte. Und, fragte ich, als Duncan den Tee eingoss. Und, sagte er und äffte dabei meinen Ton nach, ohne sich auch nur nach mir umzudrehen. Nichts und.
Ich ging ihm nach, er ging schweigend zum Angriff über: er setzte sich an den Wohnzimmertisch und ließ mich wissen, dass ich störte, indem er begann, Unterlagen zu durchforsten. Den Rest des Tages verfolgte er jeden meiner Schritte durch sein Umfeld mit einer kleinlichen Grausamkeit, die mir neu war; er hob den Kopf, wenn ich mich näherte, und beäugte mich aus dem Hinterhalt, könnte man sagen. Ich war mir nicht sicher, worauf er wartete: auf eine Schwachstelle in meinem Tagesablauf vermutlich. Doch ich bot ihm nichts Anstoßerregendes, statt dessen setzte ich mich an die Kücheninsel und zwang mich, die Zeitung zu lesen, die auf der Stahloberfläche unter den Händen rutschte. Printmedien gehörten jedenfalls in Duncans Revier, keine Angriffsfläche also in der Beschäftigung damit. (Ich hätte die Kinder einpacken sollen und gehen. Mit dem richtigen Anwalt zwar immer noch kein Honiglecken, doch machbar. Alles was ich vorbringen kann: ich war noch nicht so weit. War ich nicht.)
Ein Leben außerhalb des Gewohnten schien mir nicht vorstellbar, so musste ich versuchen, innerhalb der selbstgesteckten Grenzen (der hingeduckten Hecken) etwas auszurichten; ich gab den Leseversuch auf, das Schriftbild erschien mir immer unverständlicher. Ein anderer Skandal, das begriff ich, ein anderer Verdächtiger. Die folgenden Rundgänge durch Haus und Garten (immer in Reichweite der Lebenszeichen aus dem Keller, wo nun anscheinend Videospiele im Zentrum des Interesses standen, das Kindermädchen hatte seinen freien Tag, ich sollte nach den Jungen sehen) unterbrach ich erst gegen Abend, baute mich vor Duncan auf, der nun so tat, als folgte er aufmerksam einer Nachrichtensendung, während er immer noch den Papierstapel durchblätterte und Anmerkungen einfügte zur Kennzeichnung der Marschroute. Und endlich redete er: Eine Journalistin hatte einen Fall anrüchiger Geldannahme durch einen gewählten Volksvertreter auf die Titelseiten gebracht, eines Volksvertreters, der im Gegenzug versprochen hatte, für die wunschgemäße Anpassung eines Gesetzestexts zu sorgen, worum es ging, weiß ich nicht mehr. Als ob das nicht alle täten,
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