Die Komplizin - Roman
besonders. Als du an dem Donnerstag plötzlich den Bluterguss am Hals hattest und während der ganzen Probe so still und gar nicht du selbst warst, habe ich mich gefragt, was ich deswegen unternehmen solle. Schließlich warst du eine enge Freundin von mir, die ich sehr gern mochte und deren Wohl mir am Herzen lag. Ich fand es ganz schrecklich, mit ansehen zu müssen, wie er dir Dinge antat, derentwegen du ihn eigentlich sofort hättest anzeigen sollen. Meiner Meinung nach hat er dich regelrecht misshandelt. Aber du hast es dir einfach gefallen lassen.«
»So war das nicht.«
»Ja, das sagen die Frauen in solchen Fällen immer. Deswegen bin ich nach der Probe sofort zu ihm, um ihm zu sagen, dass ich mir nicht länger ansehen würde, wie er dir wehtut … Bist du sicher, dass du das alles hören möchtest?«
»Ich glaube, wir bringen es besser hinter uns«, antwortete Neal statt meiner.
»Na schön. Ich bin zu der Wohnung, und er hat mich sogar reingelassen. Obwohl es noch ziemlich früh am Tag war – so gegen sechs, glaube ich –, kam er mir leicht angetrunken vor. Mein Besuch schien ihn zwar nicht besonders zu überraschen, aber ich hatte auch nicht den Eindruck, dass er mir wirklich zuhörte.« Sie schluckte. »Er grinste mich bloß die ganze Zeit blöd an, als wollte er mich provozieren. Es war schrecklich und fast ein bisschen beängstigend. Irgendwann hat er mich dann am Arm gepackt. Keine Ahnung, was er vorhatte. Vielleicht wollte er mich ebenfalls schlagen oder womöglich sogar versuchen, mich zu küssen oder sonst was. Jedenfalls habe ich mich gewehrt und versucht, mich aus seinem Griff zu befreien. Sachen flogen durch die Luft und zerbrachen auf dem Boden. Ich hörte nur noch diesen fürchterlichen Lärm – das zerberstende Glas und mein eigenes Geschrei –, und plötzlich
geriet alles außer Kontrolle und ich in Panik. In meiner Angst versuchte ich irgendetwas zu fassen zu bekommen, egal, was. Auf einmal hatte ich die Vase in der Hand und holte damit nach ihm aus. Sie traf ihn am Kopf, und er verlor das Gleichgewicht. Dabei muss er mit dem Kopf gegen die Tischkante geknallt sein, denn als er dann am Boden lag, rührte er sich nicht mehr. Er war tot. Ich hatte ihn umgebracht.«
»Und dann habe ich dich angerufen.«
»Ich war gerade nach Hause gekommen, als du angerufen und mich um Hilfe gebeten hast.«
»Was für dich ein kleines Problem darstellte«, bemerkte Neal stirnrunzelnd, während er mit den Fingern auf dem Lenkrad herumtrommelte.
»Es kam mir vor wie ein perverser Witz«, entgegnete Sonia.
»Warum hast du es mir nicht gesagt?«
»Dass ich diejenige war, die Hayden umgebracht hatte?«
»Ja. Warum hast du diese ganze schreckliche Scharade abgezogen?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Sonia. »Ich hatte es für dich getan. Vielleicht fand ich es irgendwie richtig, mir im Gegenzug von dir helfen zu lassen.«
Ich öffnete das Fenster und ließ die kühle, feuchte Luft hereinströmen.
»Neal dachte also, ich sei es gewesen, und verwischte die Spuren. Ich wiederum dachte, Neal sei es gewesen, und bat dich um Hilfe – in der irrigen Annahme, dass du mich ja für die Täterin halten musstest, unglaublicherweise aber trotzdem bereit warst, mir diesen riesengroßen Gefallen zu erweisen. Dabei warst du selbst diejenige, die es getan hatte, und hast uns die ganze Zeit …« Ich konnte nicht weiterreden. Mein Körper fühlte sich an, als würde er sich gleich in sämtliche Bestandteile auflösen. Mein Kopf dröhnte, meine Augen brannten, und ich merkte plötzlich, dass ich kleine, schnaubende Geräusche von mir gab.
»Lasst uns aussteigen«, schlug Sonia vor, »und ein wenig frische Luft schnappen.«
Wir gingen zum Kanal hinunter. Minutenlang sagte keiner von uns ein Wort.
»Was werdet ihr jetzt tun?«, fragte Sonia schließlich.
»Du meinst, nun, da wir wissen, dass du Hayden getötet hast?«
»Ja.«
»Keine Ahnung. Was sollte ich tun? Zur Polizei gehen?«
»Als du noch Neal für den Täter gehalten hast …«
»Ich weiß. Als ich glaubte, begriffen zu haben, dass Neal es für mich getan hatte, beschloss ich, seine vermeintlichen Spuren zu beseitigen. Nun, da wir wissen, dass du es warst, gibt es keine belastenden Beweise mehr, die beseitigt werden müssten. Das ist alles schon erledigt. Uns bleibt nichts mehr zu tun, oder?«
»Keine Ahnung.«
»Du hättest es uns sagen sollen.«
»Hätte es das einfacher gemacht?«
»Was hast du dir nur die ganze Zeit gedacht?
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