Die Korallentaucherin
Jennifer schmiegte sich unbefangen in seine Arme. Sie schwiegen zunächst eine Weile und konzentrierten sich auf die Musik. Die Intimität ihres Körperkontakts überrumpelte sie. Die Leute lachten, redeten, tanzten, suchten sich auf dem Tisch vor der Kantine Snacks aus.
Tony brach das Schweigen. »Ich habe nie gedacht, dass ich mal wieder ein normales Leben führen würde. So wie jetzt. Wenngleich das Leben auf dieser Insel ziemlich unwirklich ist.«
»Auf gute oder schlechte Art? Oder wegen der verschiedenen Beschäftigungen, denen man hier nachgeht? Entweder in der Sonne faulenzen und sich amüsieren oder reichlich ungewöhnliche, wenn auch wichtige Arbeit leisten?«, fragte Jennifer. »Ich schätze, das hier entspricht nicht dem prosaischen Leben auf dem Festland.«
»Seit ich hier bin, habe ich mich verändert, was ein Teil meiner Gründe für meinen Aufenthalt war. Erstens wollte ich eine Story schreiben, zweitens wollte ich versuchen, mich selbst … wiederzufinden. Mein Gleichgewicht. Erinnerungen an einen grausigen Krieg sind im Sonnenschein auf einer wunderschönen Tropeninsel nicht so schmerzlich.«
»Mir ist aufgefallen, dass du dich verändert hast«, sagte Jennifer zurückhaltend. »Ich hatte dich als Einzelgänger, Einsiedler, Melancholiker eingestuft. Du bist aber ordentlich aus deinem Schneckenhaus herausgekommen.«
»Oje. Entschuldige, wenn ich unhöflich war oder so. Ich persönlich hasse Melancholiker. Und ich habe Angst, rückfällig zu werden und mich wie deine Schildkröten wieder in meinem Panzer zu verkriechen, wenn ich nächste Woche hier abreise. So schön sie auch ist, die Insel bleibt doch eine Ausrede, ein Mittel, um der Wirklichkeit zu entfliehen.«
»Ach, sag das nicht!«, rief Jennifer. »Ich habe ein paar ganz schön weitreichende Entscheidungen getroffen, seit ich hier bin. Ich hoffe, dass ich sie nicht bereue, wenn ich zurück aufs Festland gehe.«
»Das war ein großer Schritt, genauso, wie ins Wasser zu springen.«
»Und meinen Mann zu verlassen. Das war ein sehr großer Schritt.« Sie lächelte zaghaft. »Aber nachdem ich mit Isobel darüber geredet hatte, war es nur noch ein Schritt, der auf zahlreiche kleinere Schritte in dieselbe Richtung mit demselben Ziel folgte.«
»Oh. Was soll ich dazu sagen?« Ihre Neuigkeiten brachten Tony durcheinander.
»Ich wollte es dir gar nicht sagen. Es ist mir einfach so rausgerutscht. Aber vermutlich wissen sowieso bald alle Bescheid.«
»Bist du sicher, dass du nicht unter dem Einfluss des Inselkollers gehandelt hast? Das ist ein ganz schön drastischer Schritt … in deiner Situation. Was wird aus deinem Studium? Ist Mac informiert?«
»Ich schätze, er wusste es schon vor mir«, sagte Jennifer in plötzlicher Erkenntnis. »Er ist so hilfsbereit. Und jetzt redest du mir Sorgen ein wegen des Lebens auf der Insel. Ich gehe immer davon aus, dass alles bleibt, wie es ist.«
Tony drückte ihre Hand. »Nichts bleibt, wie es ist. Wir können nur hoffen, dass es besser wird. Und den Eindruck habe ich durchaus.«
Langsam bewegten sie sich zu der melodischen, stimmungsvollen Musik. Tony zog sie fester an sich, als sie eine Drehung vollführten, dann geriet er aus dem Takt und blieb mit einem verlegenen und gleichzeitig amüsierten Blick stehen. »Jemand hat mich getreten.«
»Oh, ich etwa? Es liegt am Sandboden.«
»Nein. Ich meinte …« Er wies auf ihren Bauch. »Da tanzt noch jemand.«
Jennifer errötete und lachte. »Hast du es gespürt? Ich gewöhne mich allmählich an die Beulen und das Rumoren und die Drehungen. Nachts scheint das Baby richtig aktiv zu werden.«
»Keine Sorge. Das hier war anders.« Er zog sie wieder an sich und flüsterte in ihr Haar: »Macht es dir nichts aus, allein zu sein und ein Kind zu erwarten? Wie kommt denn dein Mann damit zurecht?«
Jennifer wollte am liebsten mit dem herausplatzen, was ihr in den Sinn kam.
Blair wollte nie ein Kind. Na ja, wenigstens noch nicht in den nächsten Jahren. Er wird Unterhalt zahlen, aber kein Vater sein. Später, wenn das Kind mit ihm kommunizieren kann, bringt er vielleicht mehr Interesse auf. Aber nein, für dieses Kind bin ich allein verantwortlich, und ich werde die Konsequenzen tragen.
Stattdessen sagte sie: »Wir reden noch über die Zukunft. Blair wird das Richtige tun. Aber er ist ehrgeizig, und eine Frau und ein Kind, die ihrer eigenen Wege gehen – so hatte er sein Leben nicht geplant.«
»Oh. Wieso nicht? In meinen Augen wäre das doch ein großer
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