Die Krankenschwester
rechts durch das Gesicht des Doktors gezogen.
Dabei zum Glück aber nicht die Augen getroffen, sondern ›nur‹ die Wangen und den Nasenrücken.
Die Wunde blutete stark, aber Dr. Wise unternahm nichts. Er stand unter Schock. Er bewegte sich nicht, und er schien auch nicht den geringsten Anflug irgendwelcher Schmerzen zu spüren. Sein Gesicht sah dabei aus, als wäre es Teil eines Wachskopfes, aus dem eine blutähnliche Flüssigkeit rann. In Situationen wie diesen konnten Sekunden zu Ewigkeiten werden. Man steht unter einer ungeheuren Spannung, das Wahrnehmungsvermögen hat sich geschärft, man sieht viele Dinge auf einmal, und mir erging es auch nicht anders.
Nicht nur Dr. Wise fiel mir besonders auf, auch der Feind, der ihn in den Klauen hielt. Es war ein Wesen, aber mit der Kraft eines Menschen oder noch stärker, denn der Griff mußte einfach brutal sein.
Suko hatte die Überraschung vor mir überwunden. Aus dem Stand sprang und hechtete er auf den Arzt zu, um ihn aus den verdammten Klauen zu befreien. Er hatte sich nicht die Zeit genommen, eine Waffe zu ziehen, eine Kugel hätte sowieso nicht geholfen, deshalb versuchte es Suko mit den bloßen Händen, und er schaffte es, den Geist oder wer immer sich da zeigte, zu irritieren.
Das Messer verschwand aus der unmittelbaren Nähe des Gesichts. Ein heller Armstreifen bewegte sich, die Klinge kippte nach vorn, und plötzlich tanzte sie vor dem Gesicht meines Freundes. Ich hatte ihm noch eine Warnung zurufen wollen, aber Suko drehte den Kopf zur Seite. Er konnte in einem Reflex blitzschnell reagieren, und die Klinge wischte deshalb an seinem Kopf und dicht am linken Ohr vorbei.
Dr. Wise fing an zu wimmern. Auf einmal war ihm klar, was man da mit ihm gemacht hatte. Er konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten. Mit einer heftigen Bewegung drückte er seinen Körper nach links. Er schüttelte den Kopf, die Blutstropfen wirbelten wie roter Regen, auch ich wurde getroffen, denn ich war auf den Mann zugesprungen, um ihn abzufangen und ihn dann aus der unmittelbaren Gefahrenzone zu schaffen. Was Suko in diesen Streßmomenten tat, sah ich nicht. Es war wichtig, Wise am Leben zu halten.
Ich drückte ihn gegen die Wand. Er sackte dort in die Knie, wimmerte und stöhnte zugleich, während er seine Hände vor das Gesicht hielt, als könnte er die Schmerzen auf diese Art und Weise zurückhalten.
Der Arzt brauchte jetzt unbedingt die Hilfe eines Kollegen. Dafür war nicht die Zeit, denn die Erscheinung hatte Vorrang.
Sie kämpfte mit Suko.
Es sah aus wie auf der Kinoleinwand. Wie aus dem Computer geschaffen. Da tanzte vor einem normalen Menschen ein geisterhaftes Wesen, das in der Lage war, ein Messer zu führen. An der Klinge klebte noch immer das Blut des Opfers, als sie sich ständig bewegte. Von einer Seite zur anderen zuckte und dabei auf das Gesicht meines Freundes zielte, weil es dort in die Haut hineinschneiden wollte.
Ich schleuderte eine Bahre zur Seite, die bis gegen die Wand rollte und von ihr krachend gestoppt wurde. Dann hatte ich die Kette mit dem Kreuz über meinen Kopf gezogen, hielt sie fest, drehte mich, und auch das Kreuz machte die Bewegung mit.
Der Geist war schnell. Er zog sich zusammen, er drehte sich, mein Kreuz fehlte, aber ich hörte eine Stimme. War aber nicht sicher, die mitbekommen zu haben. Jedenfalls hatte die Nähe des Kreuzes Wirkung gezeigt, und der Talisman selbst funkelte ebenfalls auf, als hätte er das Wesen für einen Moment berührt.
Dann war es weg.
Blitzartig.
Es löste sich auf oder huschte hinein in das Gefüge der Wand. Irgend etwas davon stimmte, doch letztendlich war es egal, wie diese Erscheinung den Rückzug angetreten hatte. Sie war verschwunden, hatte Suko und mich unverletzt zurückgelassen, aber nicht Dr. Wise, der auf dem Boden hockte, leise schrie und nicht mehr in der Lage war, sich aus eigener Kraft zu bewegen.
»Ich alarmiere einen Arzt!« rief Suko und verschwand im Vorraum, wo es auch ein Telefon gab.
Inzwischen kümmerte ich mich um Dr. Wise. Das Blut rann noch immer.
Die Klinge hatte das Fleisch der Wangen tief eingeschnitten und lange Kerben hinterlassen. Auch die Nase sah nicht mehr so aus wie sonst.
Überall hatte sich das Blut verteilt, der Hals war von hellroten Streifen bedeckt, und auch der einst weiße Kittel des Mannes sah anders aus.
Suko kehrte zurück. »Es kommt gleich Hilfe«, meldete er und fragte mich dann: »Wie geht es ihm?«
»Schlecht.«
»Er ist nicht einmal
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