Die Kreatur
getan habe. Ich hab’s getan, ich hab’s getan.«
Der Wasserhahn war so heiß, dass Lulana ein Geschirrtuch um ihre Hand wickeln musste, ehe sie ihn zudrehen konnte.
Pastor Kenny versuchte, den Wasserhahn wieder aufzudrehen.
Sie klopfte ihm sachte auf die Finger, wie sie ein Kind liebevoll davor gewarnt hätte, eine Ungezogenheit zu wiederholen. »Und jetzt, Pastor Kenny, werden Sie sich die Hände abtrocknen und sich an den Tisch setzen.«
Ohne das Geschirrtuch zu benutzen, wandte sich der Geistliche vom Spülbecken ab, aber auch vom Tisch. Aufwackligen Beinen ging er auf den Kühlschrank zu, und von seinen roten Händen tropfte Wasser.
Er jammerte und ächzte jetzt wieder so, wie sie es schon von der Veranda aus gehört hatten.
Neben dem Kühlschrank hingen Messer an der Wand. Lulana hielt Pastor Kenny für einen braven Mann, einen Mann Gottes, und sie hatte keine Angst vor ihm, doch unter den gegebenen
Umständen schien es ihr eine gute Idee zu sein, ihn von den Messern abzulenken.
Evangeline folgte ihnen mit einem Klumpen Papiertüchern und wischte das Wasser vom Boden auf.
Lulana packte den Geistlichen an einem Arm und führte ihn, so gut es ging. »Pastor Kenny«, sagte sie, »Sie sind total verstört, Sie sind völlig außer sich. Sie müssen sich hinsetzen und sich erst mal wieder beruhigen. Lassen Sie die Anspannung von sich abfallen und Frieden in sich einkehren.«
Obwohl es ihm so schlecht zu gehen schien, dass er sich kaum auf den Füßen halten konnte, drehte der Pastor eineinhalb Runden um den Tisch mit ihr, bevor es Lulana gelang, ihn dazu zu bewegen, dass er sich auf einen Stuhl setzte.
Er schluchzte, aber er weinte nicht. Er war von Entsetzen gepackt, nicht von Kummer.
Evangeline hatte bereits einen großen Topf gefunden, den sie am Spülbecken mit heißem Wasser füllte.
Der Pfarrer ballte die Hände vor seiner Brust zu Fäusten und schaukelte auf seinem Stuhl vor und zurück. Seine Stimme klang vor Elend gepresst. »Ganz plötzlich, urplötzlich, ist mir klar geworden, was ich wirklich bin, was ich getan habe und in welchen Schwierigkeiten ich stecke. In was für großen Schwierigkeiten .«
»Wir sind jetzt bei Ihnen, Pastor Kenny. Wenn Sie die Last Ihrer Sorgen mit uns teilen, wird sie gleich viel leichter werden. Sagen Sie mir und Evangeline, was Sie bedrückt, und schon wiegen Ihre Sorgen nur noch ein Drittel von dem, was sie jetzt wiegen.«
Evangeline hatte den Topf mit dem Wasser auf den Herd gestellt und die Gasflamme angezündet. Jetzt holte sie eine Packung Milch aus dem Kühlschrank.
»Wenn Sie Gott in Ihre Sorgen einweihen, dann schweben sie gleich von Ihren Schultern und wiegen überhaupt nichts mehr. Ihnen brauche ich doch gewiss nicht zu sagen,
wie die Sorgen dann davonschweben. Nicht ausgerechnet Ihnen. «
Nachdem er seine Fäuste geöffnet hatte, hob er die Hände vor sein Gesicht und starrte sie voller Entsetzen an. »Du sollst nicht, sollst nicht, nicht, nicht, NICHT!«
Sein Atem roch nicht nach Alkohol. Es widerstrebte ihr zu glauben, er könnte etwas anderes als Gottes liebliche Luft in seine Lunge eingesogen haben, aber falls der Pastor tatsächlich Koks schnupfte, nahm sie an, es sei besser, wenn sie es jetzt herausfanden und nicht erst dann, wenn Esthers Zähne vollständig hergerichtet waren und er begonnen hatte, ihr den Hof zu machen.
»Uns sind mehr Dinge aufgetragen worden, die wir sollen, als die wir nicht sollen«, sagte Lulana, die darum rang, ihn mit ihren Worten zu erreichen. »Aber es gibt immer noch so viele Verbote, dass Sie sich schon etwas klarer ausdrücken müssen. Was sollen Sie nicht, Pastor Kenny?«
»Töten«, sagte er und erschauerte.
Lulana sah ihre Schwester an. Evangeline zog mit der Milchpackung in den Händen die Augenbrauen hoch.
»Ich hab’s getan, ich hab’s getan. Ich hab’s getan, ich hab’s getan.«
»Pastor Kenny«, sagte Lulana, »ich kenne Sie als einen sanftmütigen und gütigen Mann. Was auch immer Sie sich getan zu haben einbilden – ich bin sicher, dass es nicht so schrecklich ist, wie Sie glauben.«
Er ließ seine Hände sinken. Endlich sah er sie an. »Ich habe ihn getötet.«
»Und wer soll das sein?«, fragte Lulana.
»Ich hatte nie eine Chance«, flüsterte der bedrückte Mann. »Er hatte nie eine Chance. Keiner von uns beiden hat jemals eine Chance gehabt.«
Evangeline fand ein Einmachglas und goss die Milch aus dem Karton hinein.
»Er ist tot«, sagte der Pastor.
»Wer?«, fragte Lulana
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