Die Krieger 4 - Das Geheimnis der Pforte
worden, und die Menschen hatten sich von Generation zu Generation stärker dem Götterglauben zugewandt, wie der Chronist berichtete. Da das Durchschreiten der Pforte den Eintritt in eine neue Daseinsform versinnbildlichte, wurde es bald von förmlichen Zeremonien begleitet und der Bogen mit Abschiedsgebeten, Verheißungen kommenden Glücks und anderen Botschaften der Lebenden an die Toten verziert.
Nach einer Weile ergaben sich daraus zwei sehr unterschiedliche Rituale. Die meisten Verstorbenen wurden mit großer Ehrerbietung behandelt und fanden, wie die Etheker glaubten, ihre wohlverdiente Ruhe in blühenden Gärten, die bislang nur in ihrer Vorstellung existierten. Manchen Toten jedoch – Räubern, Mördern und anderem Gesindel – dachten sie eine andere Art des Fortlebens zu. Diese Leichname pflegten die Etheker zwar je nach örtlicher Sitte am selben Ort zurückzulassen oder in die gleiche Erde zu betten wie alle anderen, doch sie durchschritten die Pforte dabei rückwärts, als Symbol für die Verdammnis jener Seelen, denen es ihrer Überzeugung nach bestimmt war, für immer in finsteren, verpesteten Höhlen umherzuirren.
So war es viele, vielleicht Hunderte Generationen lang gegangen. Irgendwann aber hatte sich eine Entwicklung abgezeichnet, von der der Chronist nur in Andeutungen berichtete. Mal schilderte er ein Begräbnis, das wie üblich ablief, mal schrieb er von einer Veränderung, die die Etheker offenbar nicht für besonders bemerkenswert hielten.
Die Erben hingegen waren wie vom Donner gerührt, als Amanon an diesem Punkt anlangte. Im Laufe der Jahrhunderte hatten die Gärten und unterirdischen Höhlen, die sich die Etheker für ihre Toten ausgedacht hatten, tatsächlich Gestalt angenommen.
Das Urvolk hatte seine religiösen Riten daraufhin noch eifriger gepflegt. Fortan begleiteten Priester die Verstorbenen in das Seelenreich, das sie nun als Jal bezeichneten. Im Dara segneten sie die Toten, verhießen ihnen ewige Ruhe und zogen sich dann still zurück. Öffnete sich die Pforte aber ins Kam, so warfen sie die Leichen in den Flüstersee und verließen den verfluchten Ort so schnell wie möglich, indem sie rückwärts durch die Pforte schritten.
Der magische Übergang erfolgte auf sehr einfache Weise. Sobald ein Leichnam vor die Pforte getragen wurde, zeigte sich auf der anderen Seite der lichte oder der dunkle Teil des Jal. Nachdem die Priester das Jal verlassen hatten, verschloss sich der Zugang zum Dara oder Karu wieder. Einen Ewigen Wächter schien es zu jener Zeit noch nicht gegeben zu haben.
Eines Tages jedoch wurde die Ordnung der Dinge zerstört. Auch hier schilderte der Chronist ein Ereignis, das den Erben von größter Bedeutung erschien, mit erstaunlicher Beiläufigkeit. Aber ließ sich das Weltbild jener Menschen, für die das Übernatürliche alltäglich gewesen war, überhaupt begreifen? Damals hatten die Etheker ja nicht absehen können, welche Folgen diese kleine Episode der Geschichte haben würde.
Offenbar hatte eines Tages ein Priesterpaar beschlossen, im Dara zu bleiben, weil dort das Leben so viel schöner war als der entbehrungsreiche Alltag bei ihrem Stamm. Und so waren sie, berauscht von dem Glücksgefühl, das die Gärten hervorriefen, nicht mehr in die Welt der Menschen zurückgekehrt. Als sich die Pforte hinter ihnen schloss, konnten sie ungestört in der Seligkeit des Dara schwelgen. Ihre Namen waren in der Chronik nicht verzeichnet, doch ihr Beispiel hatte zu einem wahren Exodus ins Reich der ewigen Seelen geführt. Bald strömten die Etheker scharenweise durch sämtliche Pforten der bekannten Welt und kehrten nicht mehr in ihre Heimat zurück.
Die Oberhäupter der ethekischen Stämme verurteilten diesen Frevel an ihren Vorfahren auf das Schärfste, wagten aber nicht, die Auswanderer mit Gewalt zurückzuholen. Einige Monde vergingen, und weder diesseits noch jenseits der Pforten schien die Welt aus den Fugen zu geraten. Zwar verschwanden manche Neuankömmlinge im Dara spurlos, doch die Hochstimmung, von der die Bewohner der Gärten getragen wurden, ließ sie diese rätselhaften Vorfälle schnell vergessen. Sie nahmen einfach an, dass die Vermissten in die Alte Welt zurückgekehrt waren. Niemand kam auf die Idee, dass das Jal alles auslöschte, was nicht aus ihm hervorgegangen war. Der Glaube der Menschen hatte einen Ort geschaffen, an dem sie selbst störende Eindringlinge waren.
Doch dann geschah etwas Verhängnisvolles. In den Gärten wurde ein Kind
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