Die Küsten der Vergangenheit
und sei es nur aus Gründen ihrer eigenen Selbstachtung.
Mit der Zeit entwickelte Lisa ein Interesse an Politik. Sie nahm das Angebot eines Senators aus dem Mittleren Westen an, für ihn als rechte Hand zu arbeiten. Der Senator hatte sich bereits zweimal vergeblich bemüht, von seiner Partei als Präsidentschaftskandidat nominiert zu werden. Anschließend ging sie als Lobbyistin zunächst in die Tabakindustrie und von dort aus zur National Education Association. Bei der Anwaltskanzlei Barlow & Briggs fungierte sie als Verbindungsfrau zu mehreren Dutzend Kongreßabgeordneten. Schließlich erhielt sie ein politisches Amt und arbeitete für eine Wahlperiode als stellvertretende Leiterin im Landwirtschaftsministerium. Und danach wurde sie Direktorin eines konservativen Beraterstabes.
Zu jener Zeit entdeckte Lisa ihre Befähigung zum Schreiben. Sie hatte seit ihrem zwölften Lebensjahr akribisch Tagebuch geführt, seit sie sich zum ersten Mal zusammen mit Jimmy Proctor auf den Rücksitz des väterlichen Buick verzogen hatte. Jimmy war ihr erster richtiger Mann gewesen und Lisa hatte die Erfahrung so sehr genossen, daß sie sich unbedingt irgend jemandem hatte anvertrauen müssen. Ihre Freundinnen in der ehester Arthur Middle School waren damals noch nicht so weit gewesen. Und Lisas Eltern waren Baptisten.
Lisa war eigentlich ebenfalls Baptistin. Sie hatte sämtliche kirchlichen Zeremonien vollzogen, war jeden Dienstag und jeden Donnerstag zu ihrer Jugendgruppe gegangen und jeden Mittwoch und Sonntag in der Kirche gewesen. Bis zum letzten Jahr hatte sie mit der Hälfte der Jungen des Chors geschlafen.
Während ihrer Arbeit im Beraterstab, wo sie Dukakis’ Bewerbung um das Präsidentenamt zu verhindern suchte, hatte Lisa beschlossen, ihre Tagebücher zur Niederschrift einer Autobiographie zu benutzen. Ihr Versprechen, delikate Einzelheiten über eine ganze Reihe von Persönlichkeiten in Politik und Gesellschaft zu veröffentlichen, sowie das Interesse der Medien hatten ihr einen Vorschuß in siebenstelliger Höhe eingebracht. Lisa wollte sich nicht auf prominente Demokraten beschränkten und war prompt aus dem Beraterstab entlassen worden. Alte Liebhaber und Bettgefährten meldeten sich reihenweise bei ihr und flehten um partielle Amnesie.
Wenn Flehen und Bestechungsgelder sich als fruchtlos erwiesen, flüchteten sie sich in Tränen und Drohungen, doch Lisa führte ihr Projekt ungerührt fort. »Was sollen die Menschen von mir denken«, verriet sie einem Fernsehmoderator anläßlich einer Talk-Show, »wenn ich nicht die Wahrheit berichte?«
Der Titel ihres Buches lautete Liebe im Capitol. Es wurde ein nationaler Bestseller und anschließend verfilmt. Lisa setzte den Gewinn zum Erwerb einer Kette von Autoteile-Läden ein. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.
Lisa hatte April während ihrer Zeit im Landwirtschaftsministerium kennengelernt, und zwar bei der Einladung zu einem Essen, das eine Gruppe von Umweltschützern veranstaltet hatte. Sie war mit einem der Wortführer verabredet gewesen, einem großen, begeisterungsfähigen Burschen, der von der Überzeugung geplagt wurde, daß die Abholzung der Wälder bereits zu weit fortgeschritten war, als daß die Bestände sich aus eigener Kraft wieder erholen konnten. Außerdem war er fest davon überzeugt, daß Frauen im allgemeinen und Lisa im besonderen seinem Charme nicht widerstehen konnten. Lisa, die den Abend ursprünglich auf ihre übliche Weise hatte verbringen wollen, änderte ihre Meinung. Auch April war nicht sonderlich von ihrem Partner beeindruckt gewesen, und so waren die beiden Frauen gemeinsam in das Washingtoner Nachtleben geflohen. Seither waren sie enge Freundinnen.
Aus diesem Grund war Lisa auch nicht sonderlich überrascht, als April anrief und um ein Treffen bat. Lisas Interesse wuchs noch, als ihre Freundin sich weigerte, am Telefon einen Grund zu nennen.
Am Tag nach dem Telefonat trudelte April zusammen mit einem ziemlich langweiligen Typen im Schlepp bei Lisa ein. »Darf ich dir Max Collingwood vorstellen, Lisa?«
Die beiden Frauen kannten sich zu gut, um sich lange in Small talk zu ergehen. April erklärte leise, was sich auf Tom Laskers Farm zugetragen und was sie anschließend herausgefunden hatte. Als sie mit ihrem Bericht fertig war, schwieg Lisa zunächst eine Weile. Schließlich fragte sie: »Bist du sicher? Ist eine Täuschung ausgeschlossen?«
»Vollkommen. Und Fehler ebenfalls.« April schob einen großen Briefumschlag
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