Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
sein Heimatland zu erwähnen. Der Iran war stets Thema. Nach über dreißig Jahren empfand er seinen jähen Absturz in den Terror immer noch als Kränkung, die zu akzeptieren ihm schwerfiel. Dann erzählte er erneut von Mehr, und davon, wie sehr ihn dessen Tod schockiert hatte, von den manipulierten Wahlen, den Protesten im Frühjahr und von seiner Scham, weil er daran nicht hatte teilnehmen können. Ein ums andere Mal musste Webster ihn aufs eigentliche Thema, sein eigenes Leben, zurückbringen.
Es unterschied sich von dem anderer wohlhabender Männer, die Webster kennengelernt hatte. Seine Leidenschaft schien ausgeprägter als sein Drang, Geld zu verdienen, und er redete nur ungern über seinen Erfolg. Seine Mission, wie er es nannte, sei erst erfüllt, wenn der Iran wieder ein freies Land sei und er zu seiner Befreiung beigetragen habe. Es entging Webster jedoch nicht, dass es trotz all der schönen Worte vage blieb, welcher Beitrag das sein könnte.
Ja, er machte zu viele schöne Worte. Sicher, Qazai wich ihm nicht aus; seine Antworten waren umfassend; was er über sich erzählte, schien der Wahrheit zu entsprechen und wurde mit Überzeugung, fast leidenschaftlich vorgetragen; alles, was er sagte, hatte einen gewissen Charme. Doch Webster beschlich das Gefühl, dass diese Version von Qazai, so vollständig sie auch sein mochte, nur eine unter vielen anderen war, die er alle nie kennenlernen würde. Er stellte sich vor, dass sie irgendwo oben neben Qazais luxuriösem Schlafzimmer in einem verspiegelten Wandschrank aufgereiht hingen: eine Version für Trauerfeiern, eine zum Umschmeicheln von Investoren, eine weitere, um Ikertu davon zu überzeugen, dass er ein anständiger Mensch sei. Webster fragte sich, wie viele er davon hatte und ob Qazai sie voneinander unterscheiden konnte.
Über seinen Sohn jedoch erteilte er umfassend Auskunft. Timur sei der Talentiertere von ihnen beiden, erklärte er mit Nachdruck, unter seiner Führung werde die Firma nochattraktiver werden. Manchmal bedauere er seine eigenen Erfolge, denn egal, was Timur zustande bringen werde, sein wahres Können würde stets im Schatten dieser Erfolge stehen. Auch aus diesem Grund ziehe er sich zurück. Jetzt, nach Timurs Ausbildung in Dubai, sei der richtige Zeitpunkt, Platz zu machen, damit er Verantwortung übernehme, und er freue sich darauf.
»Wie alt sind Ihre Kinder, Mr. Webster?«, fragte er mit übereinandergeschlagenen Beinen, ein Glas Orangensaft in der Hand, rundum zufrieden.
»Sie sind noch klein. Fünf und drei.«
»Oh, wie ich Sie beneide. Es gibt keine größere Freude. Haben Sie einen Sohn?«
»Ein Mädchen und einen Jungen.«
»Wie ich. Haben Sie Pläne mit ihm?«
»Nein. Ich habe keine Erwartungen an ihn.« An sie auch nicht, dachte Webster.
Qazai runzelte kaum merklich die Stirn, eher besorgt als verwundert. Dann nickte er leicht geistesabwesend. »Ich wollte, dass Timur nichts mit Geld zu tun hat. Dass er Schriftsteller oder Politiker wird. Oder Historiker. Wenn man seine Kinder liebt, ist es manchmal nicht leicht, so reich zu sein. Vererbt man ihnen sein gesamtes Vermögen, lähmt sie das. Hinterlässt man ihnen gar nichts, sind sie verbittert. Ich habe mir größte Mühe gegeben, sie nicht zu verziehen.« Er sagte das mit einer Offenheit, die er bisher nicht gezeigt hatte.
»Vielleicht steht jeder Vater vor dem gleichen Problem«, sagte Webster. »Wenn es kein Geld ist, ist es etwas anderes.«
Qazai dachte nach. »Sie haben recht«, sagte er, »sehr sogar. Aber Geld macht es noch schlimmer. Ein armer Mann kann seine Liebe hinterlassen, schlicht und einfach.«
»Und seine Armut.«
Für einen Moment sah Qazai Webster mit aufrichtiger Wertschätzung an, dann lachte er. »Mr. Webster, als Ermittler vergeuden Sie Ihr Talent. Sagen Sie, ist Ihr Vater noch am Leben?«
Webster wollte diesem Mann nichts von seiner Familie erzählen, trotzdem antwortete er. »Ja, er lebt noch.«
»Was macht er?«
»Er ist im Ruhestand. Er war Psychiater.«
»Ist er ein guter Mensch?«
»O ja.«
Qazai nickte, als hätte er mit dieser Antwort gerechnet. »Findet er gut, was Sie machen?«
In der Frage schwang eine gewisse Schärfe mit, so schwach, dass Webster sich fragte, ob er sich das nur eingebildet hatte. Qazai wartete auf seine Antwort.
»Er ist niemand, der andere beurteilt.«
»Manchmal ist es schwer, einem guten Vater gerecht zu werden«, sagte Qazai.
»Besser als das Gegenteil.«
»Selbst wenn wir scheitern.« Qazai blickte
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